Stilllegung einer Papiermaschine geplant – Zwei Drittel der Belegschaft wird gekündigt
Entlassungsschock bei Scheufelen

Gerade noch im Freudentaumel über die gewonnene Fußball-Weltmeisterschaft, musste die Belegschaft der Papierfabrik Scheufelen gestern einen unglaublichen Schock verdauen: Auf einer Betriebsversammlung erfuhr sie, dass etwa zwei Drittel der Mitarbeiter gekündigt werden muss.

Iris Häfner

Lenningen. „Wir mussten eine traurige Nachricht weitergeben: Die Papierfabrik Scheufelen steht wieder vor einem Sozialplan. Wir müssen unsere größte Papiermaschine, die PM6, in naher Zukunft stilllegen“, erklärt Dr. Ulrich Scheufelen, Ehrenvorsitzender der Firma. Als Grund nannte er den ständig rückläufigen Papierverbrauch einhergehend mit einer Überproduktion, was zu einem Preisverfall führte, den die Firma nicht mehr verkraften kann. „Die bitterste Seite daran ist, dass wir etwa zwei Drittel der Mitarbeiter entlassen müssen. Das trifft die Belegschaft in Mark und Bein – und die Gemeinde“, ist sich Ulrich Scheufelen bewusst.

Diese Entlassungswelle ist die heftigste in der gesamten, über 155-jährigen Firmengeschichte. Derzeit arbeiten noch 650 Männer und Frauen in der Papierfabrik, davon 78 in der LIG (Lenninger Instandhaltungsgesellschaft). „So eine große Stilllegung wie jetzt mit der PM6 hatten wir noch nie“, nennt Ulrich Scheufelen die Ursache für die große Zahl der Entlassungen. Im Jahr produziert die Firma Scheufelen insgesamt etwa 300 000 Tonnen Papier, künftig werden es nur noch 140 000 Tonnen sein. Große Konzerne schaffen allein mit einer Maschine zwischen 400 000 und 500 000 Tonnen, eine Traditionsfirma mit gewachsenen Strukturen wie Scheufelen kann da nicht mehr mithalten.

Ulrich Scheufelen setzt nun mit der verbliebenen Belegschaft darauf, in Europa der Marktführer in Sachen Premiumpapier zu werden. „Diesen Bereich wollen wir ausbauen und eine neue Nischenproduktion entwickeln. Das ist unsere Stärke“, gibt sich Ulrich Scheufelen diesbezüglich optimistisch.

Mittlerweile gehört die Lenninger Papierfabrik zur Paper Excellence Group mit Sitz in den Niederlanden. Die Muttergesellschaft hat einen Gesamtumsatz von rund zwei Milliarden Dollar im Jahr. Zu der Firmengruppe gehören sieben Zellstofffabriken in Kanada und zwei in Frankreich. Die Firma Scheufelen ist die einzige Papierfabrik der Paper Excellence Group und hatte im vergangenen Jahr einen Umsatz von 195 Millionen Euro.

Von einer traurigen Hiobsbotschaft spricht Mehmet Simsek, Betriebsratsvorsitzender bei der Papierfabrik Scheufelen. „Leider müssen wir diesen Weg gehen, um den Standort halten zu können“, sagt er und hofft, so viele Arbeitsplätze wie möglich halten zu können. Am Montag wurde der Betriebsrat über diesen weitreichenden Schritt informiert. „Wir waren sehr überrascht über das Ausmaß. Dass es so heftig ausfällt – damit haben wir nicht gerechnet. Das ist eine bittere Pille für die Mitarbeiter“, so Mehmet Simsek. Gestern wurde die Belegschaft auch darüber informiert, wie die Zukunft aussehen könnte. Mit der PM5 soll weiter Premiumpapier hergestellt werden, die Maschine hat einen besseren Kostendeckungsgrad, denn sie produziert im Gegensatz zur PM6 keine Massenware, wo der massive Preisverfall eingesetzt hat. „Mit der PM5 können wir wesentlich effektiver arbeiten“, ist der Betriebsratsvorsitzende überzeugt.

Geschockt von der Nachricht war auch Ralf Gökeler, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und LIG-Mitarbeiter. „Als ich gestern den Kollegen in die Augen schauen musste, ist es mir nicht so gut gegangen. Seit 25 Jahren arbeiten wir zusammen, sind Kumpel oder Freunde – die Stimmung war im Keller“, sagt er. Ralf Gökeler setzt darauf, dass die LIG mit einem blauen Auge davon kommt. Als Handwerker seien sie gefragt bei der Instandhaltung, egal ob von Aufzug, Kran und anderen Maschinen. „Ich hoffe, dass wir so viel wie möglich retten können, die verbliebene Belegschaft noch lange weiter arbeiten kann und die Entlassenen schnell Arbeit finden – damit sich die finanziellen Probleme bei allen in Grenzen halten“, so der Wunsch des Betriebsrats.

„Das ist in erster Linie eine dramatische Situation für die betroffenen Mitarbeiter“, sagt Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht und spricht von einer niederschmetternden Nachricht und einem „unglaublich schlechten Tag“ für die Region. Er hofft, dass viele Menschen so schnell wie möglich wieder „in Lohn und Brot“ kommen. Früher oder später werde die Entlassung von etwa 400 Menschen Auswirkungen auf viele Bereiche haben, etwa auf den Einzelhandel oder einen möglichen Wohnortwechsel. „Das ist eine hochdramatische Situation für die Gemeinde, denn die genauen Auswirkungen lassen sich nicht abschätzen, etwa in Vereinen oder Schulen“, so der Schultes. Trotzdem will er nicht den Kopf in den Sand stecken und hofft darauf, dass vernünftige Lösungen gefunden werden. „Händeringend wird in vielen Branchen nach qualifizierten Mitarbeitern gesucht, das kann möglicherweise eine Chance sein“, hofft Michael Schlecht. Allerdings sitzt auch bei ihm der Schock tief: „Für die gesamte Region ist das eine Katastrophe.“