Das „Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ war die Grundlage für die politische Säuberung durch die alliierten Besatzungskräfte in Deutschland nach Kriegsende. Die sogenannten Spruchkammern, die für die Aufarbeitung in den Städten und Landkreisen zuständig waren, hatten während ihrer Arbeit in den Jahren 1946 bis 1948 mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen. Arbeitsüberlastung durch Personalmangel, schlechte Akzeptanz und Unterstützung in der Bevölkerung und zahlreiche Gesetzeslücken führten am Ende dazu, dass die Entnazifizierung in der deutschen und amerikanischen Literatur einhellig als gescheitert beurteilt wird. Insgesamt 83 Spruchkammern in Württemberg-Baden hatten mehr als 3,6 Millionen abgegebene Fragebögen zu bearbeiten, Zeugen zu befragen und Be- und Entlastungszeugnisse zu sichten. Die Betroffenen sollten fünf verschiedenen Klassen zugeordnet werden, die aktive NSDAP-Mitglieder, Nutznießer des Nazi-Regimes und Mitläufer voneinander trennten. 30 000 Meldebögen aus Kirchheim und den Umlandgemeinden gingen allein bis August 1946 bei der Kirchheimer Spruchkammer im Amtsgerichtsgebäude ein. 40 Angestellte und 43 Beisitzer aus allen Parteien und Berufsgruppen teilten sich die Arbeit. Das Interesse an Mithilfe in der Bevölkerung war gering. Man hatte andere Sorgen. Die Furcht, sich unbeliebt zu machen, die Angst vor Repressalien, sollten Nazis eines Tages wieder in führende Ämter zurückkehren, führten dazu, dass das Verfahren nur schleppend vorankam. Die meisten Beisitzer hatten sich zudem gegenseitig entnazifiziert. Die Zahl der Betroffenen wurde zu Beginn erheblich unterschätzt. 1946 galten 47 Prozent der Befragten in Kirchheim und Umgebung als betroffen. Im sogenannten Befreiungsministerium war man davon ausgegangen, dass nur zehn Prozent der Meldebögen am Ende zu einer Verurteilung führen würden. Ab 1947 wurde es immer schwieriger, Mitarbeiter in den Spruchkammern zu finden. Es mangelte vor allem an Verwaltungsbeamten. 70 Prozent der Beamten in Kirchheim waren NSDAP-Mitglieder, die von der Militärregierung entlassen worden waren. Mitglieder demokratischer Parteien hingegen standen häufig im Verdacht, durch milde Beurteilungen um Stimmen ehemaliger Nazis zu werben. Ministerium und Länderrat drängten immer stärker auf einen Abschluss der Verfahren. Die Folge: Das Gesetz wurde zunehmend ausgehöhlt und vereinfacht. Die Zahl der „Persilscheine“, mit denen sich Beschuldigte von Nachbarn, Kollegen oder Geschäftspartnern reinwaschen ließen, wuchs. Immer mehr Meldebögen wurden gefälscht. Auch in Kirchheim spitzte sich im Herbst 1947 die Lage zu: Der Spruchkammer-Vorsitzende Horst Bitzer erhielt anonyme Drohungen, auf die Kammern in Backnang, Stuttgart und Esslingen wurden Bombenanschläge verübt, mit dem Ziel, Akten zu vernichten. Im März 1948 gab es einen Erlass des Ministeriums, sämtliche Fälle ab der Klasse zwei nur noch als Mitläufer einzustufen. Als Reaktion zog die KPD am 8. März alle ihre Beisitzer aus den Spruchkammern Württemberg-Badens zurück, verschärfte dadurch die Personalnot aber weiter. In Kirchheim galten Ende Mai 1948 sämtliche Fälle als abgearbeitet. bk
Entnazifizierung – ein gescheitertes Modell