Kronzeuge im Musiknacht-Prozess fürchtet um sein Leben
„Erschieß den Nutzlosen“

Um den Kronzeugen, der am Montag im Musiknachtprozess vor der Jugendkammer aussagen soll, gab es jetzt einen Eklat. Der Kurde, ausgestiegenes PKK-Mitglied, fürchtet um sein Leben, sagt der Staatsanwalt.

Nürtingen. Endphase für sie beiden Nürtinger-Musiknachtprozesse vor dem Stuttgarter Landgericht. Neun Angeklagte haben nun endlich vor der Schwurgerichtskammer ausgesagt und dabei Teilgeständnisse geliefert.

Auf einen letzten Zeugen warten die Richter der Stuttgarter Schwurgerichtskammer noch. Es handelt sich um einen 22-jährigen Kurden, einen ehemaligen stellvertretenden Vorsitzender der Stuttgarter PKK-Jugendorganisation. Der Mann sei ausgestiegen, sagt der Staatsanwalt, und hätte eine wichtige Aussage zu den Vorgängen der Nacht zum 9. Mai in der Nürtinger Bahnhofstraße zu machen.

Das Problem ist nur, dass der Zeuge sich im Zeugenschutzprogramm des Landeskriminalamts befindet. Die Gefährdung seiner Person und seiner Familie hat das LKA hoch eingestuft: Er gilt als „Verräter“. PKK-Aussteiger und Abweichler werden von der Parteileitung hart bestraft. Selbst der Bundesgerichtshof habe schon festgestellt, dass derartige Sanktionen nicht selten eine Todesstrafe sind, sagte gestern der Staatsanwalt. Er plädierte dafür, dass der Zeuge nicht in den Stuttgarter Gerichtssaal kommen müsse, sondern dass er „audio-visuell“ vernommen wird, zu dessen eigener Sicherheit. Man könne nicht ausschließen, dass er sogar im Gerichtssaal angegriffen werde.

Der Zeuge habe früher in Berlin gelebt. Dort geriet er bereits in den Kreis von Abweichlern der PKK. In einer SMS sei ihm mitgeteilt worden, so der Staatsanwalt, dass man ihn exekutieren müsse. Wörtlich soll ein PKK-Jugendleiter dem anderen Jugendleiter geschrieben haben: „Erschieß den Nutzlosen“. Man habe ihm dann aber noch eine Chance gegeben und ihn nach Stuttgart abkommandiert, heißt es in einem Dossier. Über den nächtlichen Angriff der neun Angeklagten anlässlich der Nürtinger Musiknacht wisse der Zeuge sehr viel.

Die Verteidiger und selbst die Nebenkläger-Anwälte wollen den Zeugen jedoch im Stuttgarter Gerichtssaal erleben und ihm direkte Fragen stellen. Sie wenden sich gegen die Absicht der Anklage, den Zeugen nur über eine Leinwand zu erleben. Anwalt Stefan Holoch, Verteidiger des wegen versuchten gemeinschaftlichen Mordes Hauptangeklagten, sagte es gestern deutlich: „Das ist für uns sogar ein Entlastungszeuge, der in der Vorbereitung der Tatabläufe mitbekommnen hat, dass man die Türken in Nürtingen nur erschrecken, nicht töten sollte“. Falls der Stuttgarter Sitzungssaal nicht sicher genug sei, müsse man zu seiner Vernehmung eben ins Stammheimer Mehrzweckgebäude ausweichen. Doch der Ankläger hält an seinem Antrag, den Zeugen ausschließlich über eine Video-Anlage zu vernehmen, fest. Die Schwurgerichtskammer hat bis zum gestrigen Redaktionsschluss darüber noch keine Entscheidung getroffen. Schließlich soll der Zeuge in dieser Verhandlung erst am 24. Februar gehört werden, während die Jugendkammer, die am kommenden Montag ihr Programm in Sachen „Musiknacht“ fortsetzt, bereits da auf den Zeugen hofft.

Inzwischen haben die Richter ges­tern einen ebenfalls höchst umstrittenen Zeugen vernommen, den die Vorsitzende Richterin eindringlich auf seine Wahrheitspflicht hinwies. Dazu hatte sie einen Grund: Der Zeuge soll bereits bei der polizeilichen Vernehmung auf die Frage, ob er bei dem Angriff verletzt wurde, mit deutlichem Nein geantwortet haben. Und dies, obwohl zwei andere Zeugen ihn verletzt am Boden liegen sahen.

Erst nach mehrmaligem Hinweis auf ein Strafverfahren wegen Falschaussage gab der Zeuge gestern zu, dass er falsche Angaben gemacht hatte. Er habe sich aus allem heraushalten wollen. Tatsächlich sei er in der Tatnacht geschlagen und leicht verletzt worden. Als direkte Verletzung will er dies aber nicht bezeichnen. Dass er, auch am Boden liegend, von den Angreifern mehrfach mit Fußtritten bedacht wurde, daran erinnert er sich nicht, was beim Ankläger die Vermutung aufkommen lässt, dass der Zeuge auch aus Angst mauert.

Die Prozesse werden am Montag fortgesetzt. Da wollen die Richter auch über ihre erste Einschätzung hinsichtlich Mordversuch oder nur Körperverletzung informieren.