Aus vier dünnen Metallrohren fließt Wasser in den Brunnen am Marktplatz in Winnenden. Drei Frauen stellen 15 Glasvasen mit blassgelben Rosen auf. „Es bleibt Hoffnung“, sagt das Spruchband an einem üppigen Blumengedeck vor dem Brunnen.
Links davon erzählt Frank Baumeister vom Landjugendkreis Rems-Murr, wie er von dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen erfuhr: „Ich habe mit Kollegen über banale Dinge gesprochen. Nach der Nachricht waren da Verwirrung, Schockstarre und viele Fragen.“ Alte und Junge, eine Frau mit roten Dreadlocks und ein Mann im Sakko lauschen ihm. Dutzende Menschen gingen am gestrigen Freitag auf „Wertereise“. Die Landjugendkreise Rems-Murr und Neckar richteten die Busreise zum Gedenken an Gewaltopfer aus. Auch an der Gedenkstätte des Yvan Schneider machten sie Halt.
Auf dem Boden in der Mitte der Gruppe liegen Fotos. „Wer etwas sieht, das für ihn von Wert ist, soll sich das Foto nehmen und auf die Reise tragen“, sagt Frank Baumeister. Auf den Fotos sind Motive wie Geldnoten, Schminke und ein „Rambo“ Filmplakat. Schnell wird klar, wie unwichtig das alles eigentlich ist.
Auf dem Marktplatz dahinter kommen immer mehr Menschen zusammen, fallen sich in die Arme. Gleich gibt es eine Gedenkminute.
9.33 Uhr. Genau in dieser Minute begann vor zwei Jahren das Blutbad an der Albertville-Realschule in Winnenden. Das unschöne Ereignis an der Schule mit dem schönen Namen - lauter Glockenklang, sechzig Sekunden lang. Dann liest Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth die Namen der Opfer vor. Die Luft ist zum Schneiden. Bankangestellte stehen an einem Fenster im Obergeschoss. Pfarrer Reimar Krauß spricht ein Gebet: „Wir sind eins in unserer Hoffnung, inneren und äußeren Frieden zu finden.“ Einige Kinder treten an den Brunnen, zünden mit ihren Eltern eine Kerze an, eine alte Frau bekreuzigt sich. Es riecht nach Wärme.
10 Uhr. In der Schlosskirche in Winnenden findet ein ökumenischer Gottesdienst statt. Die Teilnehmer der „Wertereise“ sind schon wieder unterwegs, im Bus. Welzheim. 900 Schüler haben damals geholfen, aus toten Weiden eine Freiluftkathedrale zu bauen. „Weiden sind extrem widerstandsfähig und wurden früher zur Aspiringewinnung genutzt, haben also etwas Schmerzlinderndes“, sagt Rainer Bönning vom Erfahrungsfeld Eins und Alles. Ein Ort der Begegnung und des Gedankens, in Form einer Open-Air-Kulturstätte. „Jede Säule der Kathedrale hat 22 Weiden, die sich kreuzen, um bald zusammenzuwachsen“, erklärt er.
Weiter geht es Richtung Rommelshausen. Nino Latella, Liedermacher aus Tübingen, singt ein paar Lieder. Ein Hauch Eros Ramazotti macht sich im wackelnden Reisebus breit.
11.50 Uhr. In Rommelshausen geht die Gruppe auf eine weite Wiese. Am 21. August 2008 wurde Yvan Schneider hier ermordet. „Dass Yvan bei seinem Tod die Natur spüren konnte und in die Sterne geblickt hat, war für seine Eltern ein Trost“, erzählt Frank Baumeister. Er hat mehrmals mit ihnen gesprochen. Von Sternen singt Juli Pfarr dann in einem traurig-schönen Lied. Mit Zettel und Stift hängen die Reisenden Gedanken an die Bäume, bevor es weiter geht.
15.30 Uhr. Am Mehrgenerationenhaus Linde in Kirchheim hält der stellvertretende Landrat Matthias Berg eine bewegende Rede über Leben und Schicksal. „Statt zu fragen, warum etwas passiert ist, muss man nach dem ,Wozu‘ fragen“, sagte er unter anderem. Die Ausstellung „Grenzwerte“ im Mehrgenerationenhaus Linde zeigt Reliefs, Fotografien, Malerei und Videos. Sie zeigen Werte, Zusammentreffen, Leben und Kontraste.
Um 16.15 Uhr erreicht die Wertegruppe Wendlingen, den Ausgangspunkt dieser hoffnungsvoll-traurigen Reise.