Im Güterschuppen am Bahnhof laufen die Proben für „Delirium furiosum“ auf Hochtouren
„Es ist die Lust, die euch ängstigt . . . “

„Es ist die Lust, die euch ängstigt “, lautet die Verheißung an das Publikum: Die Lust an der Geschwindigkeit, am Reisen, an der Veränderung, am Leben . . . wer weiß das schon? – Die Beschleunigung des Lebens im übertragenen wie im konkreten Sinne ist Thema des multimedialen Stücks „Delirium furiosum“, das am 19. September in Kirchheim Premiere feiert.

Kirchheim. Theatermacher Jens Nüßle und sein ambitioniertes Team von der Theaterspinnerei Frickenhausen haben in der Alten Güterhalle am Kirchheimer Bahnhof eine völlig neue Spielstätte aus dem Nichts erschaffen. Gewissermaßen mitten aus der Rumpelkammer heraus, zu der der überflüssige Schuppen längst verkommen war, entwickelten die „Theaterspinner“ ihren neuesten Theater-Traum. Dessen Kennzeichen sind beispielsweise eine 36  Meter lange Riesenleinwand, die in Süddeutschland ihresgleichen sucht, oder eine Bühne, deren Konstruktion auf dem Drehkreuz eines alten Baggers basiert. Zahllos sind die technischen Gimmicks wie etwa die zweieinhalbtausend Magneten oder ein 150-Kilo-Riesendisplay, die jeweils in Eigenbau verarbeitet wurden. „Vom Feuerlöscher bis zur Notbeleuchtung – wir mussten überall ganz neu anfangen“, erinnert sich Nüßle an die letzten arbeitsamen vier Monate.

Nicht weniger stressig, dafür aber näher an der klassischen Theaterarbeit ist die Phase, in der sich das sechsköpfige Schauspielerteam, das durch einen Gast von der Landesbühne und einen Livemusiker ergänzt wird, jetzt gerade befindet: Die Proben laufen auf Hochtouren, sogar zu nächtlicher Stunde kann da schon mal Licht aus den Ritzen des entlegenen Schuppens dringen.

Das eigens für die Teckstadt entwickelte Theaterstück krönt das 150-jährige Eisenbahnjubiläum in Kirchheim. Im September 1864 erreichte die erste Eisenbahn endlich die neue damalige Endstation. Am 20.  und 21. September 2014 steigt – historisch ziemlich präzise – das große Jubiläumswochenende mit historischen Zugfahrten und vielem mehr.

Dennoch ist das Jubiläumsstück beileibe kein reines Stück über die Geschichte des Zuges. Vielmehr wird das Thema Geschwindigkeit philosophisch verarbeitet. „Es geht darum, was Tempo mit Menschen macht“, erläutert Stephan Hänlein, der nicht nur technischer Leiter ist, sondern vor allem Autor des Stücks. „Delirium furiosum“, eine psychische Störung, die mit den Pioniertagen der Eisenbahn in Verbindung gebracht wird, charakterisiert den immer noch wachsenden Zeitdruck, unter dem die Gesellschaft steht, und der krank macht oder zumindest krank machen kann. Nicht umsonst lautet der vielsagende Untertitel: „Nächster Halt . . . Endstation?“

Nur scheinbar beschaulich mutet vor diesem Hintergrund die originale Holzbank der historischen Öchsle-Bahn samt nostalgischer Reisekoffer an, die eines der Bühnenbilder im Rahmen eines vorbeifahrenden „Bühnenwaggons“ zieren. Denn schon die nebelumwaberte „Blaue Mauer“, die im Hintergrund immer schneller vorbeizieht, offenbart die Atemlosigkeit der Zukunft. Rund ums Thema Eisenbahn bieten sich natürlich etliche optische und akustische Gags an, die eifrig wahrgenommen werden. „Es geht auch um die Kraft des Feuers und des Dampfes“, verrät Nüßle dazu nur.

Zwanzig Mal wird das „Theatererlebnis für alle Sinne“ im Güterschuppen präsentiert. – Vielleicht sogar noch mehr. Schließlich ist der Schuppen mit gehörigem Aufwand auf Vordermann gebracht worden. An erster Stelle sind da die Eigenleistungen der technikfreudigen Theatermacher selbst zu nennen. Über den Innovationsfonds des Landes gab‘s Förderung, ebenso brachte sich die Stadt Kirchheim ein, vor allem mit Bauhofleistungen. Aus dem hässlichen Entlein Güterschuppen ist hinter den Kulissen längst ein stolzer Schwan geworden, äußerlich bislang nur erkennbar an der Graffitikunst einer Sprayergruppe aus Kirchheim um Marius Butz.

Mit allem anderen muss sich der Theaterfreund noch etwas gedulden. Dass sich die multimediale Produktion an alle Sinne richtet, belegt auch die Kooperation mit Wengert-Catering aus Esslingen. Die Speisekarte lockt mit den Menüs „Zugvogel“ und „Handgepäck mit Reisetasche“. Gespeist wird, wenn gewünscht, stilecht in einem abgetrennten Teil der Halle, in dem auch eine Bar untergebracht ist. Das Publikum wiederum sitzt auf ansteigenden Sitzreihen vor den vorbeifahrenden Spielwaggons. „Schlechte Plätze gibt‘s nicht“, versichert Büroleiterin Marilena Pinetti.

Sie ist es auch, die in ihrer Funktion als Schauspielerin überzeugend für das neue, schnelle Reisetempo wirbt, das den Körper so elektrisiere und den Botenstoff Dopamin freisetze. Und wer sich davon für das Stück nicht entflammen lässt, na, der schreckt wohl vor dem Lustgewinn zurück, denn: „Es ist die Lust, die euch ängstigt . . .“

Premiere für „Delirium furiosum“ ist am 19. September. Alle Aufführungstermine stehen auf dem vielerorts ausliegenden Flyer und auf www.theaterspinnerei.de. Hier sowie unter der Nummer 0 70 22/2 43 56 00 können auch Karten bestellt werden, auf Wunsch in Kombination mit einem Essen. Karten ohne Menü gibt es auch bei der Kirchheim-Info.