Auf essbare Blüten, Wild- und Wiesenkräuter hat sich der Bernhausener Keltenhof spezialisiert. Angela und Gerhard Daumüller liefern ihre Produkte an die Spitzengastronomie in Deutschland, Österreich und Italien.
Filderstadt. Nein, die prachtvollen Blumensträuße im Bürotrakt des Keltenhofs werden am Ende der Woche nicht gegessen, sagt Gerhard Daumüller und lacht. Aber möglich wäre es. Die Blüten und Blätter im Strauß sind fast alle essbar: orangefarbene Ringelblumen, blaue Kornblumen, gelbe, rosa- und pinkfarbene Mini-Löwenmäulchen, sternförmige blaue Borretschblüten, lila Lavendel, die spektakuläre scharlachrote Indianernessel, dazwischen die grünen Blätter der Zitronenverbene, die bräunlichen der Schokominze sowie brauner Bronzefenchel. Die duftenden Sträuße dürfen der Fotograf und die Redakteurin zuerst anknabbern und dann mitnehmen. So wird jede Salatplatte zum De-luxe-Produkt. Und zu einem optischen Leckerbissen: Blütenblätter zieren Salatschüssel oder Tellerrand und geben geschmackliche Akzente. Die Deko wird verspeist. Gut also, wenn kein Gift verwendet wurde und Nachbars Katze nicht drübergepinkelt hat.
Gärtnermeister und Landwirt Daumüller hat 1992 den Hof der Eltern übernommen. Diese hatten auf zehn Hektar vor allem Filderkraut produziert. 1996 wurde bei Aushubarbeiten für eine Halle ein gut erhaltenes Skelett gefunden. Ein Kelte, meinten Archäologen. Seitdem heißt der Betrieb Keltenhof. Der moderne Bürotrakt über der 1 600 Quadratmeter großen Kühl-, Lager- und Produktionsetage hat nichts Bäuerliches an sich. Der Designerbau hat klare Kanten, viel Grün, viel Licht. In der fernsehtauglichen Showküche, „Salatwerkstatt“ genannt, wird richtig gezaubert. Hier experimentiert der 46-Jährige zusammen mit bekannten Küchenchefs. Es entstehen mit Wildkräutern aromatisierte Öle, Zutaten für markante Cocktails oder mithilfe von Sahne-Aufschäumern „Rapid in fusion“-Sößchen.
Auf geht’s zum Rundgang. Wenige Meter vom Hof entfernt fällt ein futuristischer Acker auf. Bis zum Horizont reihen sich 15 000 weiße Hüte mit Drahtstengel – Bleichhauben thronen auf dem Friseesalat. Sie verhindern, dass der Salat Chlorophyll bildet und grün wird. „Die Gastronomie will einen hohen Gelbanteil“, erklärt der Keltenhof-Chef. Deshalb kommt jeder Kopf zehn Tage vor der Ernte unter die Haube. Der hellgelbe Kern macht normalerweise etwa zehn Prozent des Kopfes aus. Mit Sonnenhut sind 40 bis 50 Prozent zu erreichen. So wird ein „normaler“ Frisee zum Premiumprodukt. Die berühmten Topgastronomen in Baiersbronn servieren Blüten und Blättchen „grown in Bernhausen“, ebenso die Spitzenköche Stuttgarts. Das gilt auch für weitere Spezialitäten des Keltenhofs, der heute 50 Hektar bewirtschaftet und 40 feste Mitarbeiter hat. Dazu kommen 25 Saisonkräfte. Die meisten seien mit Halbjahresvertrag angestellt, sagt der Chef, viele der Rumänen und Polen bereits in zweiter Generation.
Auf 45 Hektar pflanzen die Daumüllers Salat. Fünf Hektar sind für die „Intensivkulturen“ reserviert. Die benötigen Handarbeit und sind entsprechend teuer. 200 Kilogramm Wildkräuter und etwa 15 000 Blüten pflücken seine Mitarbeiter derzeit täglich. Den Premium-Bereich baut der Oberkelte von Jahr zu Jahr aus. „Ich hab’ inzwischen so einen Spaß an den Blüten.“ Und der Verdienst stimmt offenbar auch. Hochmodern ist die Verarbeitung der Edelprodukte: Eine Maschine mit vier Kameras sortiert beim Feldsalat die kleinen gelben Blättchen heraus – präziser als es ein Mensch könnte. Damit die wertvolle Ware ihre Qualität behält, wird sie mit dem Vakuumkühler innerhalb von 25 Minuten auf minus drei Grad heruntergekühlt.
Heiße Rockrhythmen schwingen im leer scheinenden Gewächshaus. Beschallt Daumüller die Pflanzen fürs bessere Wachstum? Ja, sagt der Chef. Grinst aber. Reingelegt. Die Gärtnerin und Floristin Steffi Rodrigues erscheint. Mit Mütze und Handschuhen ausgestattet pflückt sie gelbe Veilchen, die aussehen wie Mini-Stiefmütterchen. Auf dem Rundgang durch die blühenden Landschaften darf viel gekostet werden. „Probieren Sie mal“, sagt Daumüller. Die Mini-Veilchen-Köpfe duften nach Honig und schmecken süßlich. Herber ist das Blättchen einer wenige Tage alten Kapuzinerkresse – die, wenig überraschend, fein nach Kresse schmeckt. Ein Erlebnis ist der säuerliche rote Klee (Oxalis) mit seinen rosa Blüten, bei dem der gelernte Gärtnermeister ordentlich zulangt. Die Gäste mampfen sich durch die Beete von Stiefmütterchen, rosa und lilafarbenen und etwa einen Zentimeter großen Löwenmäulchen.
Weitere Raritäten sind die vier Wochen alte „Baby Leaf Salate“ mit fünf bis zehn Zentimeter großen Blättern. Die hatte Daumüller im Jahr 2000 als erstes Unternehmen in Deutschland angebaut. Es folgten 2005 die noch kleineren, vier und fünf Zentimeter großen „Micro Leafs“ (gesprochen: Maikro Liehfs) sowie Asia-Salate. Wer erster Klasse fliegt, bekommt teils den zarten Baby-Salat serviert. Oft mit Wildkohl, das an Filderkraut erinnert. Chemie sei fast nie nötig bei der kurzen Anbauzeit, sagt der Gärtnermeister. Doch bevor alles kaputtgeht, verwende er „nützlingsschonende Präparate“. Die Bienen brummen an diesem Morgen mächtig. „Ein Freund hat hier Bienenvölker aufgestellt.“ Die sternförmigen Borretschblüten müssen bis 8 Uhr geerntet sein, danach gehört das Feld den Insekten. Andere Tiere, genauer: Läuse, haben das Kornblumenfeld nebenan übernommen. Es wird der Natur überlassen.
Die Neuheit des Jahres 2014 ist die Indianernessel (Goldmelisse), deren rote Blütenstände an den Kopfschmuck von Indianern erinnern. Der Geschmack der sanfter schmeckenden Blüten und der kräftigen Blätter ist ein Erlebnis: pfeffrig, würzig, zitronig, alles gleichzeitig. Im Test befinden sich zwei Kreationen für 2015: Wasabi, der scharfe japanische Meerrettich, und die betörend duftende Orangenverbene.