In der vierten Etage des ehemaligen Hotel Park Consul liegen zwei vertrocknete Blätter auf dem marineblauen Teppichboden. In den Zimmern, in der Lobby und zwischen den Sesseln auf den Fluren werden die Zimmerpflanzen vor lauter Einsamkeit grau. Sie sind die letzten Lebewesen in diesem Haus.
Seit etwa einem halben Jahr steht das Gebäude am Esslinger Neckarforum leer. Die zur Brendal-Group gehörende Vier-Sterne-Unterkunft meldete Ende Oktober 2020 Insolvenz an. Der Betrieb endete offiziell am 31. Dezember.
In jenem Gang mit blauem Teppichboden liegt das Zimmer 415, auch „Premier Suite“ genannt. Es ist das komfortabelste des Hauses. Vier Zimmer, zwei Bäder, ein Konferenztisch. 415 ist immer noch voll möbliert, wie das ganze Hotel. Die Betten sind mit weißen Leinentüchern bedeckt. Sie laden fast dazu ein, die gelbgrüne Decke des Raumes auf dem Rücken liegend zu betrachten. Die Minibar ist leer – oder geplündert. Vereinzelt stehen Schranktüren offen.
Das Gebäude wird offensichtlich regelmäßig gereinigt. Es wirkt, als könne das Hotel jederzeit von einem neuer Pächter übernommen werden. Fans von typischen Lost Places, die den Charme verlassener Orte lieben, würden in diesem Ambiente nicht auf ihre Kosten kommen. Dazu fehlt das Moos auf den Oberflächen, Gras, das sich zwischen Fliesen nach oben kämpft, oder Beton, der hinter der Tapete hervorschaut.
Trockengelegte Zapfanlage
Das macht die Atmosphäre surreal. Man hat das Gefühl, jeden Augenblick könnte eine Reinigungskraft vorbeischlappen und einen guten Tag wünschen. Oder vielleicht ein Ehepaar, das sich auf dem Weg ins Restaurant über die herrliche Aussicht auf der Dachterrasse unterhält. Stimmen könnten auf dem Gang ertönen oder das dumpfe Summen eines Staubsaugers. Doch man wartet vergeblich.
Ein Stockwerk höher befindet sich die Dachterrasse. Die Sonne scheint, doch die Barhocker sind hinter dem Tresen aufeinandergestapelt. Aus der Edelstahlplatte der Bar ragen zwei Zapfhähne empor. Sie sind nicht angeschlossen. Das einzig Flüssige, was auf dem Metall hinunterläuft, ist Regenwasser. Es hinterlässt eine dünne Schicht Schmutz auf dem glänzenden Material. Ein kühles Pils wäre jetzt genau das richtige gewesen.
Immer wieder Anfragen
Was passiert mit dem verlassenen Hotel? Wenn man bei der Stadt nachfragt, bekommt man zwei Antworten. Zum einen werde geprüft, ob der Hotelbetrieb in irgendeiner Form weitergeführt werden könne. Eigentlich wäre die Entscheidung vor Ostern gefallen, doch der Gemeinderat vertagte dies. Derzeit würden Informationen eingeholt und ein Beschluss vorbereitet, erklärte Rathaussprecher Niclas Schlecht.
Zum anderen steht auch ein Verkauf der Immobilie zur Debatte – sofern sich das wirtschaftlich lohne. Weil die Marktlage in der Hotellerie unklar ist, müssten laut Schlecht beide Modelle gegeneinander abgewogen werden. Anfragen von Interessenten gebe es immer wieder.
Wer aus der obersten Etage, dem fünften Stock, nach unten zur Lobby schaut, fühlt sich wie am Rande einer Schlucht. Ein Querschnitt des Hauses, der die verschiedenen Ebenen offenlegt. Ganz unten im Eingangsbereich steht ein schwarzer Flügel. Das Tageslicht reflektiert sich im Lack des Instrumentes. In einem Gruselfilm würde an dieser Stelle der Tastaturschutz nach oben klappen und eine Geisterhand eine Toccata von Bach spielen. Die Töne würden durch die Schlucht hallen und das gesamte Gebäude erfüllen.
Muss hier eigentlich unbedingt wieder ein Hotel hinein? Niclas Schlecht formuliert es vorsichtig: „Das Gebäude ist auf die Nutzung als Hotel ausgelegt. Daher wird ein Weiterbetrieb als Hotel angestrebt“, schreibt er.
In den Zimmern, den Gästetoiletten, den Räumen, Kammern, Lagermöglichkeiten herrscht Dunkelheit. Die Lichtschalter sind tot, die Sicherungen gelöst. Elektrizität braucht hier niemand mehr. Nur die Gänge sind erleuchtet. Wer im Erdgeschoss in der Nähe des Empfangs in den kleinen Konferenzraum eintritt, hält kurz inne. Da ist ein leises, sonores Geräusch: die Belüftung. Sie wird allerdings nur zu Ehren des Pressebesuches betrieben, wie sich herausstellt.
Zwischen 20 000 und 25 000 Euro monatlich kostet der Unterhalt des Gebäudes. Laut Schlecht lasse sich schwer beziffern, wie viel Pacht der Stadt durch den Leerstand entgangen ist. Es sei aber von einem niedrigen fünfstelligen Betrag auszugehen.
Im Hotelrestaurant stößt man dann doch auf etwas Menschliches. Auf dem Display eines Telefonapparates, der an der Wand montiert ist, steht etwas, was man sonst vermutlich nur selten in einem Lost Place findet: Anrufumleitung.