Vorträge über Stadtentwicklung in Zukunft und Vergangenheit zur Fachwerk-Triennale
Fachwerk als geschichtliches Erbe

Zur bundesweiten Fachwerk-Triennale ging es gestern in Kirchheim um die Stadtentwicklungspolitik. Das historische Rüstzeug zu Fachwerkgebäuden wiederum konnten sich alle Interessierten am Vorabend bei einem Vortrag von Tilmann Marstaller im Spital holen.

Andreas Volz

Kirchheim. Bei der Triennale-Veranstaltung im Kornhaus sprach Professor Manfred Gerner, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Deutsche Fachwerkstädte, Probleme an, mit denen alle Fachwerkstädte zu kämpfen haben – allen voran die Städte nördlich des Mains. So gebe es Städte, die gerade dabei sind, innerhalb weniger Jahrzehnte beinahe die Hälfte ihrer Einwohner zu verlieren: „Alte Menschen mit einem geringen Steueraufkommen sollen dann eine Infrastruktur erhalten, die doppelt so groß ist wie nötig.“

Ein anderer Punkt ist der Tourismus. „Vor 30 Jahren hat der Tourismus kaum eine Rolle gespielt“, sagt Manfred Gerner, „heute muss er für viele Städte ein wirtschaftliches Ergebnis bringen.“ Kirchheim sei von diesen Problemen noch nicht betroffen. Dennoch sei die Stadt gezwungen, die „heutige Stärke“ zu nutzen, um die Innenstadt und das Wohnumfeld ausreichend attraktiv zu machen, sodass auch künftig mit Zuzug statt mit Abwanderung zu rechnen ist.

Auf ein fachwerkspezifisches Problem ging Manfred Gerner ebenfalls noch ein: auf den speziellen Brandschutz. Zwar gebe es keine Stadtbrandkatastrophen mehr wie früher, aber dennoch seien beim Fachwerkbestand in Deutschland jedes Jahr „erhebliche Verluste“ durch Brände zu verzeichnen. Die Arbeitsgemeinschaft plane deshalb eine eigene Broschüre zum Brandschutz bei Fachwerkgebäuden.

Kirchheims Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker ging ebenfalls auf einen Brand ein, und zwar auf den Kirchheimer Stadtbrand von 1690: „Die Kirchheimer Innenstadt ist eine Folge des Stadtbrands.“ Zum Glück aber habe es seit 1690 keine großen Bauverluste mehr im Stadtzentrum gegeben, weder durch Kriege noch durch die Modernisierungswellen der 1960er- und 1970er-Jahre. Letzteres sei auch einer Bürgerinitiative zu verdanken, die sich 1973 erfolgreich gegen den geplanten Abriss des Spitalviertels gewehrt hatte. „Wir fordern keinesfalls ein Museum“, habe es damals geheißen, „wir fordern eine lebendige Stadt, in der es sich lohnt zu leben.“

Wie sich historische Gebäude und moderne Nutzung durchaus auch in Einklang bringen lassen, zeigte Bürgermeister Riemer an einem konkreten Beispiel in der Kirchheimer Innenstadt auf. Dort sei das Experiment gelungen, mitten in der Stadt eine Erdwärmeheizung einzurichten.

Als die Häuser der Kirchheimer Innenstadt nach dem Brand in den 1690er-Jahren wiedererstanden, war an Geothermie noch längst nicht zu denken. Dennoch nutzten die Kirchheimer damals die Energie, die ihnen zur Verfügung stand, in neuer Weise. 1691 war eine zweite Sägemühle eingerichtet worden, erzählte der Mittelalterarchäologe und Bauforscher Tilmann Marstaller in seinem Vortrag über „Kirchheimer Hausbauten im Spiegel von Technik- und Kulturgeschichte“. Die bis dahin bestehende Kirchheimer Sägemühle sei nur zum Sägen von Brettern verwendet worden. Zum Wiederaufbau der Stadt sei aber in kürzester Zeit dermaßen viel Bauholz zu verarbeiten gewesen, dass es nur mit Sägen zu bewältigen war. Das traditionelle Beilen wäre zu zeitaufwendig gewesen.

Das Nadelholz, das vom Schwarzwald her neckarabwärts in die Nähe von Kirchheim geflößt wurde, sei bereits vor dem Flößen für seine spätere Verwendung bearbeitet worden. „Die Vorfertigung war schon auf hohem Niveau. Aus dem Schwarzwald kamen vierkant-bearbeitete Hölzer nach Kirchheim“, sagte Tilmann Marstaller im Spitalkeller.

Die Nadelhölzer seien benötigt worden, weil sich die heimische Eiche nur für Pfosten und Ständer eigne, nicht aber für Sparren, für Dach- oder Deckenbalken. Deshalb hätten Zimmerleute einstmals auch die Holzarten berücksichtigen müssen, schon bevor sie überhaupt daran gingen, den „Erstabbund“ zu planen.

Das Fachwerkgerüst sei zunächst nicht am eigentlichen Bauplatz erstellt worden, sondern teilweise bis zu 30 Kilometer entfernt. Wenn alles fertig war, habe man den Erstabbund wieder in die Einzelbestandteile zerlegt und diese zum Bauplatz transportiert. Jedes einzelne Teil erhielt ein Abbundzeichen, mit dem genau markiert war, an welcher Stelle es wieder einzubauen war. Fachwerkhäuser seien deshalb auch als „fahrende Habe“ und nicht als „Immobilien“ angesehen worden.

Außer am Bau von Fachwerkhäusern ließ Tilmann Marstaller seine Zuhörer auch am neuesten Stand der Forschung teilhaben, sowohl zum Fachwerkbau überhaupt als auch zu Kirchheimer Fachwerkhäusern. Die Kirchheimer Forschung habe vor allem Rainer Laskowski und dessen Archäologie-AG zu danken – für die Sicherung und Dokumentation von Material. Leider werde die Forschung immer wieder erst dadurch ermöglicht, dass ein Gebäude kurz vor dem Abriss steht. Und dabei stoße man immer wieder auf „verborgene Schätze, mit denen man nicht rechnet“.

Am Beispiel prominenter Gebäude erläuterte Tilmann Marstaller, wie einstmals gebaut wurde und wie sich sogar das genaue Baujahr datieren lässt. Die Dendrochronologie erlaubt aufgrund der Jahresringe exakte Rückschlüsse auf das Jahr, in dem die Bäume gefällt wurden. Weil Eichenholz sofort bearbeitet werden muss, ist das Baujahr immer identisch mit dem Fälljahr der Eiche. Das Herrenhäusle an den Bürgerseen lässt sich deshalb auf 1761 datieren. Das verwendete Fichtenholz stammt schon aus dem Winter 1760/61, was auf die längeren Transportwege zurückzuführen ist, aber auch auf die Möglichkeit, das Holz vor der Verarbeitung zu lagern.

Deshalb sei es auch keine Überraschung, wenn der südliche Anbau der Kirchheimer Bruckmühle einerseits Nadelholz von 1823/24 aufweist und andererseits eine Bauinschrift mit der Jahreszahl 1825.

Das „Alte Haus“ wiederum erwähnte Tilmann Marstaller, um zu zeigen, dass bei ein- und demselben Gebäude unterschiedliche Methoden angewandt wurden: die Verzapfung und die Verplattung. Überwiegend sei das Fachwerk verzapft, aber an den Stellen, hinter denen die größeren Bohlenstuben liegen, seien die Holzverbindungen verplattet. Das Nebeneinander beider Methoden habe es lange Zeit gegeben – auch noch viele Jahre nach der Bauordnung des Herzogs Christoph aus dem Jahr 1568. Diese Bauordnung, betonte Tilmann Marstaller, verbiete keineswegs die Verplattung – wie oftmals fälschlicherweise behauptet werde. Vielmehr empfehle sie, statt der Verplattung die Verzapfung anzuwenden.

Auch den Unterschied zwischen alemannischem und fränkischem Fachwerk will Tilmann Marstaller nicht mehr gelten lassen. Die Bezeichnungen seien irreführend. Er zeigte Beispiele aus Urach und Dettingen/Erms, wo „fränkisches Fachwerk“ bereits Ende des 15. Jahrhunderts verwendet wurde: „Zu dieser Zeit gab es im fränkischen Raum noch gar kein fränkisches Fachwerk.“

Als ein besonderes Beispiel für den Wiederaufbau Kirchheims nach dem Stadtbrand verwies Tilmann Marstaller noch auf eine Scheune in der Ziegelstraße, die mittlerweile abgerissen ist. Als Scheune war das Gebäude 1547/48 errichtet worden. Der Umbau zu einem „Eindachhof“, der Scheune und Wohngebäude unter einem Dach vereint, sei 1701 erfolgt. Für den Bauforscher zeigt dieser Umbau, wie dringend in Kirchheim nach 1690 Wohnraum benötigt wurde.

Trotz Wohnungsnot und Holzknappheit seien die meisten Häuser aber reich verziert worden. Das Fachwerk in Kirchheim weise alle möglichen Zierformen auf. Als besonders charakteristisch für Kirchheim nannte Tilmann Marstaller die Eckverzierungen, die auch das Rathaus prägen. Das Rathaus selbst, das zwischen 1722 und 1724 gebaut wurde, bezeichnete Tilmann Marstaller als „Abschluss und Höhepunkt des Wiederaufbaus“.