Auf großes Interesse stieß der Vortrag „Aufruhr im Lenninger Tal“ mit Dr. Andreas Schmauder
Familienväter setzten ihr Leben aufs Spiel

Von wegen gute, alte Zeit – zu diesem Schluss kam Gerhard Schneider, Vorsitzender des Fördervereins Chronik Lenningen, in dessen Namen er zum Vortrag mit Andreas Schmauder über den „Armen Konrad“ im Lenninger Tal eingeladen hatte.

Lenningen. Der Raubersaal der Unterlenninger Sulzburghalle war gut besucht, viele Lenninger interessierten sich dafür, wie es den Menschen Anfang des 16. Jahrhunderts erging. „Aufruhr im Lenninger Tal: Vor 500 Jahren erhob sich der ,Arme Konrad‘ gegen Willkür und Unterdrückung“ hatte Dr. Andreas Schmau­der seinen Vortrag überschrieben. Der Historiker ist Direktor des Hauses der Stadtgeschichte in Ravensburg, zu dem auch das Museum Humpis-Quartier gehört, sowie Kurator der aktuellen Ausstellung „Macht – Gewalt – Freiheit: Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs“ in Tübingen – und einer der Autoren der Chronik Lenningen.

„Andreas Schmauder ist der Spezialist für dieses Thema. Über den Bauernkrieg hat er promoviert“, sagte Manfred Waßner, Esslinger Kreisarchivar, über seinen Kollegen. Mit dieser Arbeit habe er den Weg freigemacht für eine neue Sichtweise des Aufstands vor 500 Jahren, der bis dahin „das Stiefkind der württembergischen Landesgeschichte“ gewesen sei. Geballtes Geschichtswissen war den Zuhörern also an diesem Abend garantiert.

„Das war eine spannende Zeit in Europa und in der Welt vor 500 Jahren. Amerika wurde entdeckt und es fand eine Neubewertung der Welt statt, als man feststellte, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Diese Entwicklungen sorgten für eine Neubewertung des Horizonts“, brachte Andreas Schmauder den Zuhörern den damaligen Zeitgeist näher. Dürer war einer der bedeutendsten Künstler dieser Zeit. Er porträtierte alles detailliert und gewährt dadurch der Nachwelt bis heute Einblick in das Leben der Menschen von damals. „Die Menschen lebten von der Landwirtschaft, bauten Dinkel, Hafer und Roggen an, und wo es gerade so ging, drückten sie Rebstöcke in die Erde“, so Schmauder. Die Forstwirtschaft war für die Herrschaft wichtig, nicht zuletzt wegen des Wildbestands, denn die Feudaljagden gehörten zu den gesellschaftlichen Höhepunkten des Adels.

„Zum Schutz vor Wild wurde die Flur komplett mit einem Etterzaun eingezäunt, denn die Tiere hätten sonst die Ernte vernichtet. Die Menschen haben einen großen Aufwand betrieben, um das Wild von ihren Feldern fernzuhalten“, sagte der Referent. Doch nur der Adel hatte das Privileg, auf die Jagd zu gehen, Wilderei war eine schwere Straftat. Grund und Boden besaß die Herrschaft. „Den Bauern gehörte nichts. Sie mussten Pachtzins zahlen. Meist waren es Naturalien, die sie erwirtschaftet haben“, erläuterte er. Es gab eine kommunale Selbstverwaltung, an deren Spitze der Schultheiß stand, der sein Amt auf Lebenszeit ausübte und auch seinen Nachfolger bestimmte.

Im Jahr 1503 wurde Ulrich im Alter von 16 Jahren Herzog von Württemberg. Ihm waren die Bauern – 90 Prozent der Bevölkerung – durch Leibeigenschaft verbunden und mussten Fron- und Militärdienste leisten. Als Leibeigene waren sie an Grund und Boden gebunden, ein Wegzug war nur mit Erlaubnis des Herzogs möglich und kostete eine nicht unerhebliche Ablösesumme. „Die Renaissance hielt Einzug und damit einher ging eine aufwendige Hofhaltung. Württemberg war 1514 nahe eines Staatsbankrotts“, verdeutlichte Schmauder die katastrophale Lage. Kirchheim war Amtsstadt für 15 Gemeinden, und der Vogt sprach im Namen des Herzogs Recht. In den Württemberger Amtsstädten gab es einflussreiche Bürger mit Grundbesitz, die beispielsweise auch mit Getreidehandel Geld verdienten. „Die waren alle miteinander verwandt und verschwägert und haben versucht, Einfluss auf die Politik zu nehmen“, zeigte der Referent die Verbindungen zwischen den einzelnen Amtsstädten auf. „Der Adel hatte fast nichts mehr zu sagen. Er war bis auf wenige Familien von den Bürgern abgelöst worden, die nun Württemberg dominierten“, so Schmauder.

Theoretisch habe jeder sein Auskommen gehabt, doch es war die Zeit der Kriege und Krisen. „Hagelunwetter, einhergehend mit Klimaanomalien, haben die Menschen belastet, man nennt es auch die Kleine Eiszeit. Dafür suchte man Schuldige am unteren Rand der Gesellschaft – und das war der Beginn der europäischen Hexenverfolgung“, zeigte der Referent die Dimensionen auf. Fast in jedem Jahr wurde die Ernte vernichtet, es gab kaum oder keinen Ertrag, um die Abgaben leisten zu können. „Die Bauern standen mit dem Rücken zur Wand und gleichzeitig hatte die kostspielige Hofhaltung Hochkonjunktur. Die Schulden wuchsen ins Uferlose, und als im Mai 1514 die Verbrauchssteuer eingeführt wurde, erhoben sich die Bauern im Remstal.“ Sinnbildlich dafür steht der Gais­peter, der die vom Herzog eingeführten, „anders“ geeichten Gewichtssteine in die Rems warf. „Dies war der Beginn eines Aufstands, wie ihn Württemberg bis dahin nie erlebt hatte“, so Schmauder.

Der „Arme Konrad“, wie sich die Bewegung nannte, war eine Interessengruppe für 90 Prozent der Bevölkerung, die in den Widerstand gegen die Herren getreten war. „Der Aufstand verbreitete sich schnell in Kern-Württemberg, in Kirchheim schon Anfang Mai.“ Es war eine Untergrundbewegung, deren Mitglieder sich heimlich in Scheunen und Nebenzimmern der Wirtshäuser trafen. In Lenningen schlossen sich zehn Prozent dem Armen Konrad an, leisteten einen Schwur und setzten ihr Leben aufs Spiel. Ihre Namen – 14 an der Zahl – sind deshalb bekannt, weil sie im Turm in Kirchheim gefangen gehalten, gefoltert und zu ihren Zielen befragt worden waren, als der Aufstand niedergeschlagen wurde. „Das waren keine jungen, hitzigen Burschen, sondern allesamt gestandene Familienväter und Inhaber von Höfen – keine armen Bauern, sondern selbstbewusste Männer, die in Fachwerkhäusern lebten“, charakterisierte Schmauder die Widerständigen. Sie forderten, dass Wald und Fisch „gemein gemacht wird“, ebenso alles Land, das verteilt werden sollte. Ferner wollten sie auch das Wild jagen dürfen, um überleben zu können.

Durch ein Netz von Boten wurden die Nachrichten verteilt, und so liefen auch die Lenninger auf Kirchheim zu und besetzten die Stadt. Ende Mai war auch Untertürkheim in den Händen des Armen Konrads und für die dortige Kirbe ein großes Treffen geplant. Angesichts dieser entschlossenen Untertanen versprach Herzog Ulrich, nach 16-jähriger Pause wieder einen Landtag einzuberufen, den ersten unter seiner Herrschaft. An ihm sollten Vertreter von Bürgern, Bauern und Adel teilnehmen. Diese Ankündigung reichte den Bauern und sie stellten den Widerstand ein. „Doch mit diesem Vorschlag waren die Bürger überhaupt nicht einverstanden und bedrängten den Herzog, sodass es zwei Landtage geben sollte: einen in der gut befestigten Stadt Tübingen, den anderen in Stuttgart“, so der Referent. Auch darauf ließen sich die Bauern ein und harrten in Stuttgart aus, derweil Herzog, Adel und Bürger in Tübingen tagten.

Der Vertrag zu Tübingen war für das Herzogtum ein zentrales Dokument und auf die Bürger zugeschnitten. Sie übernahmen die herzoglichen Schulden von 920 000 Gulden, wollten dafür aber politische Mitbestimmung – und zwar auch bei allen Nachfolgern Ulrichs, womit der Vertrag 300 Jahre Gültigkeit hatte. „Diese Mitbestimmung war revolutionär und einzig in Europa. Ohne die Bürger konnte der Herzog fortan nicht mehr regieren“, zeigte Schmauder die weitreichenden Folgen auf. Die Untertanen durften jetzt auch ohne bezahlte, herzogliche Erlaubnis ihren Wohn- und Arbeitsort wechseln, beispielsweise ein Lenninger eine Esslingerin heiraten. „Die Menschen wurden mobiler, der Vogt konnte nicht mehr willkürlich Recht sprechen – zumindest gab es faire Verhandlungen“, führte der Referent aus.

Nachdem der Vertrag unter Dach und Fach war, wurde der Landtag aufgelöst und der für Stuttgart abgesagt. „Erst jetzt bricht der Widerstand aus. An drei Stellen kamen mehrere Tausend Bauern zusammen: Floriansberg bei Metzingen, Engelberg bei Leonberg und Kappelberg bei Beutelsbach. „Die 14 Lenninger waren auf den Kappelberg marschiert, es waren aber sicherlich mehr aus Lenningen dabei“, ist Andreas Schmauder überzeugt. Doch durch die Hinhaltetaktik des Herzogs waren die Widerstandsgruppen nicht mehr so schlagkräftig, und so hatten die Bauern den von Ulrich eilig zusammengetrommelten Truppen nichts mehr entgegenzusetzen. Als die Kappelberg-Bauern sich über 1 000 berittenen Soldaten gegenübersahen, gaben sie sofort ihren Widerstand auf, legten die Waffen nieder und ließen sich kampflos festnehmen. Darunter waren eben auch jene 14 Lenninger, die über Monate im Turm in Kirchheim eingesperrt wurden.

Es gab Schauprozesse mit Enthauptungen zur Abschreckung in Stuttgart und Schorndorf. Die mit dem Leben davongekommenen Widerständler bekamen empfindliche Geld- und „Ehrenstrafen“. Sie durften keine Waffen tragen, keine Wirtschaften besuchen und mussten Gesellschaften meiden, denn der Herzog hatte Angst, die Bauern könnten sich wieder „zusammenrotten“. Zudem wurden einige gebrandmarkt: Sie hatten das Wappenzeichen Württembergs auf der Stirn eingebrannt, ähnlich des Hirschhorns, wie sie Pferde aus Württemberger Zucht heute noch verpasst bekommen. Auch die 14 Len­ninger mussten schwören, nie mehr in den Widerstand gegen die Herrschaft zu treten, andernfalls drohte die Todesstrafe. Einige Aufständische konnten über die Reichstädte Esslingen und Reutlingen für ein Jahr in die sichere Schweiz fliehen.

Der große Durchbruch für die Bauern war der Tübinger Vertrag nicht, es gab lediglich Zugeständnisse. „Wild, das in die Felder eingedrungen war, durfte straffrei geschossen werden. Das heißt aber nicht, dass die Bauern das Reh oder Wildschwein behalten durften. Sie mussten es beim Vogt in Kirchheim abgeben“, so Schmauder. Doch immerhin konnten so die Flurschäden deutlich reduziert werden.

Weil Herzog Ulrich alles andere als ein vorbildlicher Herrscher war, wurde er 1519 außer Landes gejagt, und die Habsburger übernahmen das Regiment. „Die Lenninger akzeptierten diese neue Herrschaft nicht, was zeigt, dass sie sehr wohl an den Veränderungen in der Welt und der Politik Anteil nahmen“, so Schmauder. Deshalb beteiligten sie sich am Bauernkrieg zehn Jahre nach der Zerschlagung des Armen Konrad. „Von den 14 Lenningern traute sich jedoch kein Einziger, dafür 20 andere Personen, hauptsächlich aus Schlattstall und Gutenberg“, so der Referent. Dieses Mal ging es um viel weitreichendere Forderungen, die die Bauern mit Gewalt durchzusetzen versuchten. Klöster, Burgen und Städte wurden belagert und teilweise niedergebrannt. Dies wiederum rief den (Geld-)Adel auf den Plan, der gegen die Bauern zu Felde zogen. Wegen seiner Brutalität erlangte Truchsess von Waldburg-Zeil eine fragwürdige Berühmtheit. Auch als „Bauernjörg“ bekannt, ging er brutal und erbarmungslos gegen die Aufständischen vor. In der Schlacht von Böblingen gab es Tausende Gefallene. „Alle Dörfer im Lenninger Tal waren davon betroffen“, ist Andreas Schmauder überzeugt. Nicht viel besser erging es den Bauern in anderen Landesteilen und Ländern, sodass im September 1525 der Bauernkrieg beendet war.

All diese Informationsfülle reichte den Zuhörern noch nicht. Es gab eine muntere Fragerunde. So interessierte etwa die Zugehörigkeit der Menschen. „Das ist außerordentlich kompliziert. Ein Lenninger konnte fünf verschiedene Herren haben: Landesherr, Grundherr, Leibherr, Kirchherr und Gerichtsherr“, so Schmauder. War der Leibherr knapp bei Kasse, verkaufte er seine Leibeigenen – und die wussten dank eines Briefes schnell Bescheid, an wen sie nun die Steuern zu entrichten hatten. Für die damalige Zeit bescheiden daher kam der Leibherr. Er wollte einmal im Jahr ein Huhn. Die Übergabe fand in der Regel an Martini statt, und dabei demonstrierte der Leibherr auch seine Macht. Außerdem verlangte er 1,4 Prozent des Vermögens beim Tod, ähnlich der heutigen Erbschaftssteuer.