21.31 Uhr. Cleve gibt beim Wachhabenden, in dieser Nacht ist es Polizeihauptmeister Ralf Schröpfer, die Situation durch und bittet um eine zweite Streife. Inzwischen haben DRK-Rettungssanitäter die renitente Tochter in ihre Obhut genommen und Erste Hilfe geleistet. Die angeforderte Streife fährt vor. Christian Cleve, der Dienstgruppenleiter der etwa neun Mann starken A-Schicht, berichtet kurz, was passiert ist und bittet die Kollegen, den Krankentransport zu begleiten.
Dann steigen Cleve und Radant wieder in den Mercedes Kombi E 220 CDI mit der blau-silbernen Sonderlackierung und fahren in Richtung Innenstadt.
21.36 Uhr. Die Polizeistreife steht jetzt in der Busparkbucht am Wachthaus und beobachtet den spärlich fließenden abendlichen Verkehr. Die beiden Polizisten winken einen Mini Cooper rechts ran und überprüfen die Fahrzeugpapiere, das Warndreieck und den Sanitätskasten. Alles okay.
Bei McDonalds ist alles gespenstisch ruhig. Ebenso im nahen Industriegebiet. Da taucht aus der Dunkelheit ein „Ein-Auge“ auf. Die Polizisten halten den Golf an und kontrollieren Papiere und Pkw. Christian Cleve stellt einen Mängelbericht aus und reicht ihn dem jungen Mann am Steuer. Dann geht die Streifenfahrt im Kruichling weiter, langsam am Zaun eines beleuchteten Lkw-Parkplatzes entlang. Nichts bewegt sich auf dem Areal.
22.18 Uhr. Radant steuert den nördlichen Teil des großen Kirchheimer Reviers an, das von Wernau bis zur Schlatterhöhe reicht. Auch der Wernauer Bahnhof liegt wie ausgestorben da. Die nächste Station ist die Eishalle. Ein paar Gäste verlassen die Halle und gehen auf ihre Autos zu.
22.46 Uhr. Der Streifenwagen ist inzwischen wieder in Kirchheim und fährt langsam an den Zapfsäulen der Tankstelle am Schlierbacher Dreieck vorbei. Der Innenraum ist noch beleuchtet und der Pächter winkt den Polizisten lachend zu. Alles in Ordnung.
Gegen 23 Uhr rollt der blau-silberne Mercedes Kombi auf den Parkplatz hinter dem Polizeirevier Kirchheim. Für Polizeihauptkommissar Christian Cleve und Polizeiobermeister Alexander Radant ist die erste Streifenfahrt in dieser Nachtschicht, die bis in die frühen Morgenstunden dauert, beendet. Pause nach rund zweistündiger Streifenfahrt.
„Der Nachtdienst ist eine anstrengende Sache. Danach ist man erledigt“, berichtet Christian Cleve, der Mann mit den vier silbernen Sternen auf den Schulterklappen. Seit 1995 ist er Dienstgruppenleiter, koordiniert den Dienstplan und teilt die Streifen der A-Schicht ein.
Nicht immer verläuft die Nachtschicht, die um 19.30 Uhr mit der Übernahme beginnt, so ruhig. Cleve blättert im Dienstbuch. Vor allem an Wochenenden werden die Beamten zu Ruhestörungen, häuslicher Gewalt und Schlägereien gerufen. Und auch sonst haben die Polizisten rund um die Uhr gut zu tun: Ladendiebstähle, Wohnungseinbrüche, Sachbeschädigungen, Unterschlagungen, Verkehrsunfälle, Ölspuren sichern, Brände, Verkehrskontrollen, Unfallflüchtige ermitteln, Schwertransporte begleiten, Arbeits- und häusliche Unfälle aufnehmen, Vermisste suchen, Einsätze bei Demos und Umzügen, etwa an Fasnet, Albsteigen im Winter auf ihre Verkehrssicherheit hin überprüfen, Platzverweise aussprechen, Randalierer in ihre Schranken weisen, Firmenalarme, Tiereinsätze, nach Exhibitionisten fahnden, Amtsgerichtstermine; aber auch solch sensible Aufgaben wie Todesnachrichten überbringen, meist zusammen mit dem Nachsorgedienst. Hinzu kommen interne Dienste: Waffen reinigen, Fortbildungsveranstaltungen, Sport. „Und der verwaltungstechnische Aufwand hat in den letzten Jahren zugenommen“, bedauert Christian Cleve immer mehr „Schreibkram“. Die 41-Stunden-Woche der Polizeibeamten reicht dazu nicht immer aus. Überstunden sind vorprogrammiert.
Neue Formen der Kriminalität machen die Spezialisierung der Verbrechensbekämpfer notwendig. „Vor 20 Jahren hat doch kein Mensch an Internetkriminalität oder an Scheckkartenbetrug gedacht“, sagt der Polizeihauptkommissar. „Damals wurden auch noch keine Handys geklaut, weil‘s noch keine gab.“ Deshalb werden Polizisten geschult, deshalb gibt es in jedem Revier Spezialisten.
„Und noch eins: Die Qualität unserer Arbeit wird im Hinblick auf die Beweisführung immer wichtiger“, nennt Cleve einen weiteren Grund für stetige Fortbildung.
Die Aufgaben sind vielfältig. „Und wir könnten viel mehr machen, wenn ich mehr Personal hätte“, klagt der Schicht-Dienstgruppenleiter. „Vor allem an Wochenenden und bei Veranstaltungen.“ Doch auch die Polizei muss sparen und den schweren Gürtel mit Pistole, Handschließen, Schlagstock, Pfefferspray und Reservemagazin enger schnallen.
Und weil die Ordnungshüter über die Hälfte der Nachtschicht auf Streife verbringen, geht‘s gleich wieder raus zur zweiten Tour. „Es ist ständig jemand draußen. Mindestens zwei Streifen sind immer unterwegs“, sagt Christian Cleve und schlüpft in die signal-gelbe Warnweste über dunkelblauer Jacke und Schutzweste.
Still blickt der Mond vom Himmel. Ruhig verläuft für die beiden Polizisten die Fahrt durch die Nacht. Doch an Schlaf dürfen sie nicht denken. Neidvoll blicken sie hoch zum vorhangverhangenen Fahrerhaus des Brummilenkers aus Holland, der mit seinem riesigen Blumen-Lkw in der unteren Marktstraße parkt und pennt. Es ist Freitagmorgen, 1.59 Uhr. Noch dreieinhalb Stunden bis Schichtende.