Kirchheim. Vor dem Treppenaufgang eines Hauses in der Dieselstraße parken fünf Kinderwägen. Einer davon ist so groß, dass vier Kinder darin Platz finden könnten. Wenn es nicht in Strömen regnen würde, würden die beiden Tagesmütter Mara Hoss und Gertrud Rath nach dem Frühstück mit ihren sieben Tageskindern in die Stadt aufbrechen. Daraus wird wohl nichts. Glücklicherweise ist drinnen genügend Platz.
„Tagesbetreuung in anderen geeigneten Räumen“ nennt sich die Form der Kindertagespflege, die die beiden Tagesmütter in Mara Hoss‘ Haus anbieten. Der private Wohnbereich der Familie ist vom Kindertagespflegebereich strikt getrennt. Das Erdgeschoss, das eigens dafür ausgebaut wurde, gehört allein den Tageskindern. Dort gibt es ein großes Spielzimmer mit Esszimmer, das auf die Terrasse und in den Garten hinausführt, eine offene Küche, ein Bad, Schlafplätze und eine Kuschelecke. In den oberen Stockwerken wohnen die 52 Jahre alte Mara Hoss, ihr Mann und der zehnjährige Sohn Jonathan. Die beiden 27- und 31-jährigen Kinder sind schon lange aus dem Haus.
Tagesmutter ist Mara Hoss geworden, als ihr kleiner Nachzügler auf die Welt kam. „Ich wollte nicht, dass mein Sohn allein aufwächst“, erinnert sie sich. Deshalb nahm sie andere Tageskinder auf. Seit zwei Jahren bietet sie die Betreuung in anderen geeigneten Räumen an, mittlerweile gemeinsam mit Gertrud Rath. Die 57-jährige gelernte Kinderfrau und Bürokauffrau hat ebenfalls zwei erwachsene Kinder.
Dass sie zu zweit sind, sieht Mara Hoss als großen Vorteil. „Wir können uns austauschen und gegenseitig vertreten“, sagt sie. Auch die Betreuungsform findet sie gut. „Die Räume sind wirklich nur für die Kinder da.“
Die Tage in der Dieselstraße laufen immer ähxnlich ab. Zwischen sieben und neun Uhr trudeln die Kinder ein, mittlerweile spielen die anderen im Garten oder im Haus, basteln, malen oder puzzeln. Nach dem Morgenkreis bereiten die Tagesmütter das Frühstück zu. Heute gibt es ausnahmsweise Kuchen. Jasmin hat Geburtstag, das rothaarige Mädchen wird zwei Jahre alt und darf die Kerzen auf dem rosa glasierten Kuchen auspusten. In der Zwischenzeit sind auch Yannis und Emilia eingetroffen, nun sind die sieben Kinder beieinander. „Nach dem Frühstück gehen die Kinder aufs Töpfchen, und dann gehen wir normalerweise spazieren“, sagt Mara Hoss. In der Stadtbücherei ist die kleine Bande mit den vielen Kinderwägen schon bekannt. Anschließend bereiten die Tagesmütter das Mittagessen zu. Nach dem Mittagschlaf, den einige Kinder draußen im Kinderwagen halten, werden die meisten Kleinkinder von ihren Eltern abgeholt. Dann kommen für ein paar Stunden ein acht- und ein neunjähriges Mädchen.
Sieben Kinder dürfen Gertrud Rath und Mara Hoss gleichzeitig betreuen, insgesamt zehn dürfen angemeldet sein. „Wir würden gerne auf zwölf angemeldete Kinder aufstocken, weil viele Teilzeitkinder darunter sind und wir dann mehr Möglichkeiten hätten“, sagt Mara Hoss.
Das kann Susanne Kurz vom Tageselternverein nur unterschreiben, die die Tagesmütter in Kirchheim betreut – auch solche, die in „anderen geeigneten Räumen“ arbeiten. Die Vorteile, die diese Betreuungsform mit sich bringt, liegen für Susanne Kurz auf der Hand: „Es entsteht mehr Gruppendynamik, weil es mehr Kinder sein können. Außerdem können sich zwei Tagesmütter beraten, unterstützen und vertreten, zum Beispiel im Krankheitsfall.“
Dennoch rät Susanne Kurz Tagesmüttern davon ab, die „Kindertagespflege in anderen geeigneten Räumen“ aufzubauen. „Die Betreuung ist ähnlich aufwendig wie in einer Kindertagesstätte – nur mit erheblich geringeren Zuschüssen“, sagt sie. 14 000 Euro hat Mara Hoss aus dem Investitionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“ für den Ausbau und die Ausstattung des gesamten Erdgeschosses bekommen, 2 000 Euro je Platz. Zum Vergleich: Bei Neubau einer Kindertagesstätte gibt es aus dem selben Programm laut Kultusministerium 12 000 Euro pro Platz, bei Umbau einer Kita 7 000 Euro pro Platz. Aus Sicht von Susanne Kurz ist das unfair. „Bei Mara Hoss geht es noch, weil die Wohnung im eigenen Haus ist“, sagt sie. Für Tagesmütter, die extra eine Wohnung anmieten müssten, lohne sich dieses Modell überhaupt nicht.
Dem hohen organisatorischen Aufwand, den diese Form der Kindertagespflege mit sich bringt, stellt Susanne Kurz die aus ihrer Sicht geringe Entlohnung gegenüber. „Die Tagesmutter bekommt pro Kind und Stunde 7,20 Euro, 5,50 Euro vom Landkreis und 1,70 Euro von der Stadt. Da sind Betriebskosten, also Essen, Strom, Spielmaterial und Bastelmaterial schon drin.“ Ziehe man die Betriebskosten von den 7,20 Euro ab, blieben 5,46 Euro brutto pro Kind und Stunde. „Und davon muss die Tagesmutter noch Steuern, Sozialversicherung und alle anderen Versicherungen zahlen.“
Erschwerend kommt für Susanne Kurz hinzu, dass Tagesmütter nur für die reine Anwesenheitszeit der Kinder bezahlt werden, nicht aber für Zeiten, in denen sie putzen, vorbereiten oder Elterngespräche führen. „Bei so vielen Kindern ist dieser Aufwand natürlich auch höher.“ Darüber hinaus verdiene die Tagesmutter bei längeren Fehlzeiten der Kinder kein Geld, wenn sie es nicht vertraglich festlegt. „Landkreis und Stadt kompensieren nur für Fehlzeiten bis zu vier Wochen, darüber hinaus muss die Tagesmutter das Geld von den Eltern verlangen“, sagt Susanne Kurz. Auch wenn eine Tagesmutter krank sei, bekomme sie kein Geld. „Jeder andere Selbstständige gleicht dieses Risiko über höhere Stundensätze aus. Aber unsere Tagesmütter dürfen nicht mehr als die festgelegten 7,20 Euro verlangen.“ Ihr Fazit: „Die Betreuung in anderen geeigneten Räumen ist für die Tagesmütter einfach nicht wirtschaftlich.“