Schüler der Kirchheimer Waldorfschule bauen Glockenturm – Guss des bronzenen Unikats im Schulhof
Fest gemauert in der Erden

Die Kirchheimer Waldorfschule hat jetzt einen Glockenturm.Gebaut haben ihn die Schüler der dritten Klasse zusammen mit ihrem Lehrer. Hinter dem Projekt stecken pädagogische Ansätze, aber auch ganz pragmatische Gründe.

Kirchheim. „Ding, ding, ding.“ Ein helles Läuten lässt die Schüler im Pausenhof der Kirchheimer Waldorfschule innehalten. Sie schnappen Bälle und Tischtennisschläger, schultern ihre Taschen, packen Brotboxen und Trinkflaschen ein und machen sich auf den Weg ins Schulhaus. Wenige Minuten später sind Garten und Hof leer gefegt.

So unkompliziert wie an diesem Sommertag ging das Pausenende vor wenigen Wochen noch nicht vonstatten. „Die Schüler haben die Schulhaus-Glocke draußen oft gar nicht gehört“, erzählt Martin Jäger, Lehrer an der Kirchheimer Waldorfschule. „Wir mussten dann immer rausgehen und ,Pausenende‘ schreien.“ Dieser Umstand brachte ihn auf eine Idee: Er beschloss, zusammen mit seinen Schülern einen Glockenturm zu bauen, stand doch für die dritte Klasse ohnehin die im Waldorf-Lehrplan vorgesehene „Hausbau-Epoche“ an.

Martin Jäger erstellte eine Konstruktionszeichnung, orderte das Material und legte zusammen mit seinen Schülern los. Vier Wochen lang arbeiteten die 30 Drittklässler jeden Tag an ihrem Turm. Aufgeteilt in Gruppen, gruben sie ein Loch, gossen das Fundament aus, rührten Mörtel an und setzten Klinkerstein auf Klinkerstein. Den Dachstuhl ließ Martin Jäger von einem Zimmermann fertigen, der ihn vor Ort auf das Bauwerk setzte.

Aber damit nicht genug: Eigens für den Turm sollte eine Bronze-Glocke gegossen werden. „Wir haben dafür einen Glockengießer aus Schwäbisch Hall engagiert“, berichtet Martin Jäger – ein absoluter Höhepunkt für die kleinen Turmbauer, aber auch ihre Lehrer und Mitschüler.

Glockengießer Peter Glasbrenner war mitsamt seiner Ausrüstung in die Waldorfschule gekommen. Bei den Vorbereitungen für das sogenannte Sandgussverfahren durften die jungen Baumeister selbst Hand anlegen: Mit kleinen Stampfern drückten sie den klebrigen Sand in die Formen, um das „Negativ“ ihrer künftigen Glocke zu schaffen. Auch Klassenlehrer Martin Jäger war gefragt. In Schutzkleidung gehüllt, half er dem Glockengießer dabei, die 1 000 Grad heiße Blei-Kupfer-Substanz in die Form fließen zu lassen.

Dann war Geduld gefragt – zumindest bis zum nächsten Tag, als die Glocke aus der Sandform geholt und zum ersten Mal geläutet wurde. „Das war ein herrlicher, bewegender Augenblick“, erinnert sich Martin Jäger.

Der Bau des Glockenturms war für die Schüler der Höhepunkt der „Hausbau-Epoche“. „Unser Lehrplan richtet sich nach der Entwicklung der Kinder“, liefert Martin Jäger Hintergründe dazu. Die Waldorf-Pädagogik gehe davon aus, dass die Kinder in der dritten Klasse beginnen, die Welt bewusster zu erleben. In dieser Phase der Selbstfindung steht der Hausbau sinnbildlich für Geborgenheit, das handwerkliche Arbeiten für das Meistern von Lebenssituationen.

„Fest gemauert in der Erden“ steht an der Kirchheimer Waldorfschule nun der Glockenturm. Die schon von Schiller besungene Glocke selbst dagegen schwingt längst frei im Dachstuhl hin und her – und zwar jeden Tag um 9.45 Uhr, wenn die Pause an der Waldorfschule zu Ende ist. Geläutet wird die Glocke selbstverständlich von Martin Jägers Schülern – zumindest noch in diesem und im kommenden Schuljahr. Anschließend soll das Amt der „Glöckner“ dann stets an die neuen Viertklässler weitergegeben werden, die dann ein Schuljahr lang an der Glockenschnur ziehen und dem bronzenen Unikat mit der Prägung „Klasse 3 2012/13“ tagtäglich ein helles „ding, ding ding“ entlocken dürfen.