Kirchheim. Dr. Dieter Simpfendörfer und Helmut König, die Geschäftsführer der Firma Ortlieb und beide gebürtige Kirchheimer, sehen den Weggang aus der Teckstadt mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Das 1911 in Esslingen-Mettingen gegründete Werkzeugunternehmen ist mit Kirchheim eng verbunden: Seit 1996 gehört es zur Narr-Beteiligungsgesellschaft. Im Jahr 2000 zog die Verwaltung in die Dettinger Straße nach Kirchheim um, seit 2002 wird auch ausschließlich hier produziert.
Seit dem 31. Dezember 2010 sind Ortlieb und Narr nurmehr eine einzige Firma und als „Ortlieb Präzisionssysteme“ jetzt wieder klar auf Erfolgskurs. Die innovativen Antriebssysteme von Narr und die hochwertigen Spannsysteme von Ortlieb sind die beiden wichtigen Pfeiler, auf denen das Unternehmen ruht.
Heute arbeiten in den Räumen der ehemaligen Firma Narr, die überwiegend aus der Gründungs-Ära in den 50er-Jahren stammen, 75 Mitarbeiter. „Wir streben eine Umsatzexpansion an und wollen auch unseren Personalstamm vergrößern“, kündigt Dr. Dieter Simpfendörfer an. Außerdem will sich die Firma noch klarer auf dem internationalen Markt positionieren. Bereits jetzt liegt die Exportquote bei 35 Prozent, jüngstes anvisiertes Projekt ist eine Vertriebsniederlassung in Shanghai. „Unsere Präferenz ist aber nach wie vor Europa“, macht Helmut König klar.
Für das Präzisionsunternehmen, das sich auf einem „ausgesprochen preissensitiven Markt“ behauptet, wie es Simpfendörfer nennt, sind die Firmenräume in der Dettinger Straße allenfalls „suboptimal“. Zum einen sind 5 400 Quadratmeter Nutzfläche schlichtweg zu wenig. Außerdem muss völlig unzeitgemäß auf drei Etagen produziert werden. Das Gebäude ist energetisch in katastrophalem Zustand, was wiederum viel Geld kostet, vor allem Heizkosten. Ein entscheidender Punkt ist außerdem, dass im Mischgebiet Dreischichtbetrieb nicht zulässig ist. Ohne diesen kommt die Firma jedoch nicht aus, da der Wettbewerb nicht nur von den Preisen, sondern auch von Lieferfristen bestimmt wird.
An der Option, auch rund um die Uhr arbeiten zu können, scheiterten auch manche Bemühungen, in Kirchheim mit einem Neubau Fuß fassen zu können. „Wir hatten den Hegelesberg ins Auge gefasst“, berichtet Dr. Simpfendörfer von vielversprechenden Gesprächen mit der Stadtverwaltung. Größe und Zuschnitt wären in Ordnung gewesen, doch mitten durch das anvisierte Areal führte eine Art „Demarkationslinie“, die Gewerbegebiet von Mischgebiet trennt. Allenfalls in einem Teil der Firmenfläche wäre damit der Dreischichtbetrieb möglich gewesen. „Wir haben uns sehr wohlgefühlt in Kirchheim, aber für Sentimentalitäten ist in unserer Branche kein Raum“, erläutern die Geschäftsführer, dass sie daraufhin ihren Aktionsradius erweiterten. Ziel war, in der Nähe zu bleiben, um auch den Mitarbeiterstamm halten zu können.
In Zell unter Aichelberg wurde Ortlieb fündig: Im Anschluss an das neue Industriegebiet kann die Firma ein Areal von optimalem Zuschnitt und in idealer Lage unweit der Autobahn bebauen, das Ganze zu einem deutlich günstigeren Preis als in Kirchheim. „Wir haben 14 500 Quadratmeter Grundstücksfläche erworben sowie eine Option auf weitere 5 500 Quadratmeter“, erzählt Helmut König. Dort sollen nun Produktionshalle und Verwaltungsgebäude nahe dem Passivhausstandard errichtet werden, in architektonisch ansprechender Form. Schließlich will der Technikführer Ortlieb zeigen, dass er am großen Rad drehen kann. „Das Geldausgeben wollen wir aber nicht übertreiben“, bekennen sich Simpfendörfer und König zu ihren schwäbischen Wurzeln.
Der Zeitplan ist ehrgeizig: Zunächst soll ein Architektenwettbewerb unter drei bis vier auserwählten Büros erfolgen. Im April 2014 könnten die Bagger in Zell anrollen, spätestens im Herbst 2015 dürfte der neue Firmensitz bezugsfertig sein. Der Umzug kann wohl nur in Etappen erfolgen. „Bis Ende 2015 sind wir in Zell“, nennt Simpfendörfer das Ziel. – Zweifellos eine Zäsur in der Firmengeschichte.