Andreas Volz
Kirchheim. Die Sonnenseite ist begehrter. Das gilt nicht nur allgemein im Leben, sondern auch bei der Dachpatenschaft der Kirchheimer Martinskirche. Das Modell zumindest zeigt auf der Südseite des Kirchendachs nur noch einige wenige weiße Flecken. Die roten Ziegel decken das Modelldach schon nahezu komplett ab. Das gilt vor allem für den Chor. Der Chor ist auch die Ausnahme beim „Nord-Süd-Gefälle“: Im nördlichen Teil des Chordachs gibt es sogar weniger weiße Stellen als im südlichen. Ansonsten aber bietet das nördliche Martinskirchendach noch reichlich Möglichkeiten, sich mit der Patenschaft für einen Quadratmeter am Erhalt dieses Kirchheimer Kulturdenkmals zu beteiligen.
Eines aber zeigt das Modell auch schon, und das ist ganz neu: Die Firstziegel sind aufmontiert. Die Patenschaft für diese wichtige Stelle, an der die Dachflächen an ihrem höchsten Punkt zusammentreffen, teilen sich die weltlichen und geistlichen Oberhäupter der Stadt: Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker hat die Patenschaft für den Chorfirst übernommen, Dekanin Renate Kath diejenige für den First über dem Kirchenschiff. Der Begriff „First Lady“ erhält somit in Kirchheim eine ganz neue Bedeutung.
Als besonderen Dank für die „First-Patenschaft“ haben beide nun einen der alten Firstziegel erhalten, aufmontiert auf ein Stück Holz. Somit haben sie ein ganz individuelles Schreibtischutensil, um Stifte, Büroklammern und dergleichen immer griffbereit vorzufinden. Der Kirchengemeinderatsvorsitzende Eberhard Schweizer definierte bei der Übergabe der beiden alten Firstziegel den Begriff der Patenschaft als ein freiwilliges Engagement, bei dem jemand Verantwortung übernimmt – „ideell, nominell, aber auch finanziell“.
Dekanin Kath sagte: „Wir haben uns für den First entschieden, weil wir dadurch zeigen, dass wir die Hand über die Martinskirche halten.“ Oberbürgermeisterin Matt-Heidecker wiederum führte aus, warum sie sich speziell für den First über dem Chor entschieden hat: „Da geht es mir darum, dass dieser Chor schon den Stadtbrand überstanden hat. Das war ein Signal: Fast die ganze Stadt war niedergebrannt, aber dieser Chor stand noch. Er hat den Menschen Halt und auch ein Dach über dem Kopf gegeben. Die Kirchheimer konnten in diesen Chor gehen und neue Hoffnung schöpfen.“
Neue Hoffnung kann jetzt fürs erste auch die Kirchengemeinde schöpfen, denn die Dachsanierung scheint eine Punktlandung zu werden. „Wir können die Arbeiten bis Ende Juli abschließen“, zeigt sich Pfarrer Jochen Maier zuversichtlich. Zurzeit steht nur noch die Sanierung des Turmdachs an. Deshalb ist es auch nicht ganz so wichtig, wirklich Ende Juli fertig zu sein. Das Sommernachtskino auf dem Kirchplatz, das am 14. August beginnt, wird von den Arbeiten am Turm ja nicht beeinträchtigt. Das einzige, was derzeit nicht möglich ist, ist eine Turmbesteigung – etwa im Rahmen von Stadtführungen.
Und auch finanziell scheint die Dachsanierung ein Erfolg zu werden. „Abgerechnet wird erst am Ende, wenn auch der Turm fertig ist“, sagt Dekanin Renate Kath mit der gebotenen Vorsicht, fügt aber hinzu: „Bis jetzt hat es keine unangenehmen Überraschungen gegeben.“ Eberhard Schweizer ergänzt zu diesem Thema: „Noch liegen wir unter dem Planungsziel von 820 000 Euro.“
Die Arbeiten am Turmdach sind übrigens keine zu vernachlässigende Größe, auch wenn die Dachfläche wesentlich kleiner ist als die von Kirchenschiff, Chor und Sakristei. „Die paar Dachziegel für die Turmhaube sind genauso teuer wie die gesamten Ziegel für das restliche Dach“, stellt Renate Kath fest. Den Grund dafür erläutert Pfarrer Maier: „Da brauchen wir spezielle Ziegel wegen der Krümmung des Dachs.“ Diese Ziegel werden eigens für die Martinskirche im Elsass hergestellt. Anfang nächste Woche werden sie angeliefert. Am Dienstag soll deshalb damit begonnen werden, die alten Turmziegel abzudecken.
Sämtliche Bauarbeiten am Dach der Martinskirche waren übrigens von tierischen Begleitern abhängig. Das gilt zunächst für die Fledermäuse, die den Zeitplan für die Arbeiten am Kirchendach wesentlich bestimmten: Das Quartier für die Flugsäugetiere wäre rechtzeitig bereit gewesen, und sie seien auch einigermaßen pünktlich im Frühjahr zurückgekehrt, erzählt Pfarrer Jochen Maier: „Aber dann sind sie gleich wieder gegangen, weil es ihnen noch zu kalt war.“ Inzwischen sind sie längst wieder in ihrem angestammten Sommerquartier im Dachgebälk der Martinskirche angekommen.
Die anderen tierischen „Flugbegleiter“ waren anfangs zu zweit und später zu sechst: Ein Turmfalkenpaar hat dieses Jahr im Turm der Martinskirche vier Junge ausgebrütet und großgezogen. Aber auch die Vögel haben sich nicht von den Arbeiten in der Nachbarschaft stören lassen. Und was jetzt noch im Turm zu tun ist, beeinträchtigt sie auch nicht weiter: Sie sind schon wieder ausgeflogen.
Vom Turm zum Boden reicht der Blitzschutz der Martinskirche: Augenblicklich wird deshalb am Boden gerade an der Ringleitung für den Blitzschutz gearbeitet. Auch für diese Arbeiten war der Zeitplan exakt vorgegeben: Beginn erst nach dem Haft- und Hokafescht, Ende rechtzeitig vor dem Sommernachtskino.
Die nächsten Zeitpläne sind dagegen noch nicht fixiert. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Innenrenovierung erst nach oder doch schon vor der Außenrenovierung erfolgen soll. Auf jeden Fall aber fordert die Kirchengemeinde dazu auf, dass die Kirchheimer mitteilen sollen, welche Orte in der Kirche ihnen besonders wichtig sind. Und noch etwas steht jetzt schon fest: Die Kosten für die nächsten Bauabschnitte gehen in die Millionen, sodass die Kirchengemeinde zur Finanzierung wohl Schulden aufnehmen muss. Dekanin Kath sieht aber den entscheidenden Vorteil: „Das können wir dann angehen in dem Bewusstsein, dass das Dach nicht nur dicht, sondern auch bezahlt ist.“
Wer noch einen finanziellen Beitrag zur Dachsanierung leisten möchte, hat übrigens außer den „normalen“ Dachpatenschaften noch weitere Möglichkeiten, auf die Fundraisingexperte Werner Dresel aufmerksam macht: So lassen sich im zentralen Gemeindebüro im Dekanat Fledermäuse kaufen – aus Plüsch oder aus Springerles-Teig. Und auch den „First Ladys“ kann man es noch nachmachen: Die Firstziegel haben zwar ihre Patinnen gefunden. Aber an den Stellen, wo Dachflächen seitlich aneinanderstoßen, braucht es Gratziegel. Das Modell zeigt es deutlich an: Den Graten fehlen Paten.