Kirchheim. Mit dem erfolgreichen Wirtschaften hat Notker Wolf kein Problem: „Das ist das Ziel von Unternehmen und Banken, Dazu sind sie gegründet, und dafür müssen sie sich anstrengen.“ Selbst die „angeblich so bösen Banken“ seien wichtig, denn schließlich wolle auch jeder einzelne, der sein Geld anlege, dafür möglichst hohe Zinsen bekommen. Die Unternehmen wiederum seien es, die Arbeitsplätze schaffen, und das Wachstum eines Unternehmens führe zu mehr Arbeitsplätzen.
Besonders angetan zeigte sich der oberste Repräsentant aller Benediktiner bei seinem Auftritt in der Martinskirche von den mittelständischen Familienunternehmen. Diese würden viele Kultur- und Sportveranstaltungen unterstützen, was zwar nicht viel Geld abwerfe, aber trotzdem dringend notwendig sei. Außerdem seien die Chefs solcher Familienunternehmen viel näher dran an ihren Mitarbeitern und Kunden – nicht zuletzt, weil sie ihnen täglich ins Gesicht sähen.
Gewinnmaximierung allein reiche nicht aus. Es gehe auch darum, die Mitarbeiter und deren Familien, die Volkswirtschaft oder die Umwelt zu sehen und zu respektieren. Die Frage laute: „Sehe ich das große Ganze oder nur meinen persönlichen Geldbeutel?“ Es sei nämlich gar nicht so, dass Geld immer nur stinke, meinte der 72-Jährige und fügte hinzu: „Wir müssen fragen, wie das Geld zustandekommt und wofür wir es benutzen. Aber ohne Gewinn können wir nicht mehr weiterarbeiten.“
Trotzdem bekamen gewisse Manager – die der großen Konzerne – im Vortrag Notker Wolfs ihr Fett weg: „In Vorstandssitzungen wird oft nicht mehr gesagt, was gedacht wird. Das könnte gefährlich für die Karriere sein, denn Vorstandsvorsitzende sind sehr häufig eitle, von sich eingenommene Menschen.“ Bei der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2008 und 2009 sei vor allem die Gier gebrandmarkt worden, und es habe Rufe nach einer stärkeren Verankerung der Moral gegeben. Notker Wolf sagte dazu nur: „Fragen Sie nicht nach, wie es heute wieder läuft.“
Trotz aller ethischer Codices bleibe nämlich ein Grundübel bestehen: „Wenn das Geld kommt, werden wir Menschen blind.“ Und so sei eben auch die bislang letzte Krise entstanden: „Bei 30 Prozent Gewinn hat kein Mensch mehr ans Risiko gedacht. Alle sind wie die Lemminge in eine Richtung gelaufen. Das hat mich sehr gewundert.“ Der Vergleich mit den Lemmingen kommt nicht von ungefähr, denn Notker Wolf befasst sich auch intensiv mit der Verhaltensbiologie. Während man beispielsweise keine vollgegessene Katze hinter dem Ofen vorlocken könne, habe der Mensch – und nur der Mensch – die große Gabe, natürlich gegebene Grenzen zu überschreiten. Wie so oft, verberge sich aber hinter der großen Gabe auch eine große Gefahr, etwa beim Umgang mit Alkohol. Das veranlasste den Benediktinerpater zu der Bemerkung: „Der Mensch kann tierischer werden als ein Tier.“
Um Eskalationen zu verhindern, rät er zu etwas, was seit jeher mit Klöstern in Verbindung gebracht wird – zur Askese: „Ich muss mich zusammenreißen und eine Distanz zu mir selbst entwickeln.“ Diese Distanz gegenüber dem eigenen Macht-, Besitz- und Geltungsstreben sei insbesondere für Unternehmer wichtig, denn damit seien sie auch in der Lage, auf Querdenker zu hören.
Der Querdenker entstammt direkt der abendländischen Kultur, die für Freiheit und Individualität steht. Deshalb seien Mitarbeiter auch kein Arbeitspotential. Vielmehr gelte: „Jeder ist ein einzelnes Geschöpf Gottes, jeder hat seine eigenen Gaben und seine Eigenheit, und jeder möchte mit seiner Eigenheit respektiert werden.“ Und daraus wiederum leitet Notker Wolf ab: „Keiner hat das Recht, über den anderen zu verfügen.“ Sei es nun wegen Unterschieden beim Intelligenzquotienten, bei der Hautfarbe oder bei der Religion – wenn sich jemand deswegen über andere erheben will, dann stellt der gebürtige Allgäuer jedes Mal die Frage: „Wieso?“
Ein gewisses Gegenfragen hält er auch in Unternehmen für wichtig. „Es ist doch toll, wenn Menschen in Ihrer Gegenwart den Mut haben, unbequeme Gedanken zu äußern“, wandte er sich direkt an Führungskräfte. In einer Atmosphäre des Vertrauens, in der jeder auf seine Fragen und Beiträge sachgerechte, objektive Antworten bekomme, müsse auch niemand Angst haben, mal etwas Dummes zu sagen. Natürlich ist auch Notker Wolf nicht vor Anfechtungen gefeit. Trotz der Überzeugung, dass alle Menschen Geschöpfe Gottes sind, gab er schmunzelnd zu: „Nur manchmal frage ich mich, was Gott sich bei dem einen oder anderen gedacht haben mag.“
Lob, Anerkennung und Vertrauen aber würden das Selbstwertgefühl jedes Mitarbeiters stärken. Viele Menschen seien geradezu abhängig vom Lob. In einem entsprechenden Klima der Freiheit könne sich der Mensch entfalten. Wo Freiheit sei, gebe es zwar immer auch die Möglichkeit des Versagens. Aber andererseits könne der Mensch vor allem in Freiheit schöpferisch tätig werden.
Gegenwärtig sieht Notker Wolf die Gefahr, dass bei immer mehr Kontrolle und Überwachung der Wert der Sicherheit über den Wert der Freiheit gestellt wird. Gerade bei der Kontrolle rät er aber dazu, dass sie von innen kommen müsse, eben auch durch Askese und durch althergebrachte Werte. Diese Werte fasste er mit einem Begriff zusammen, bei dem ihm selbst leicht unwohl war: mit dem der „alten Soldatenehre“. Was er damit meinte, war so etwas wie ein natürlicher Anstand, der sich in dem Satz äußert: „So etwas kommt bei mir nicht vor“. Egal, um welches Fehlverhalten es sich handelt, es muss bereits von innen heraus ausgeschlossen werden. Freiheit gelingt also nur, wenn sie mit der eigenen Verantwortung gekoppelt ist.
Auf der positiven Seite brauche es dazu den festen Willen zur Ehrlichkeit, zur Transparenz, zur Kommunikation, zur Gerechtigkeit. Weitere Werte, die Notker Wolf nannte, waren die Toleranz und die Kompromissbereitschaft. Und nicht zu vergessen seien Sekundärtugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Verlässlichkeit.
Zu lernen sei dies alles am besten auf ganz natürlichem Weg im Elternhaus. Die Familie sei dazu da, dass junge Menschen lernen, was es heißt, sich für andere einzusetzen und Hab und Gut, aber auch Know-how miteinander zu teilen. Kinder müssten erfahren, dass Liebe „nicht nur Eierkuchen“ sei und auch durch Prüfungen gehe. Zudem müssten sie erfahren, „dass auch einmal Zurechtweisung notwendig ist“.
Vieles davon trifft nicht nur auf Familien zu, sondern genauso auf Betriebe oder Klöster. Eine Aussage aus der Mönchsregel, die der heilige Benedikt von Nursia im 6. Jahrhundert verfasst hat, ist zwar auf den Abt bezogen, gilt aber für jeden Chef: „Er muss wissen, welch schwierige und mühevolle Aufgabe er auf sich nimmt – Menschen zu führen und der Eigenart vieler zu dienen.“ Und so brachte der Benediktinermönch den Zuhörern auch noch in einem schönen Bild den Unterschied zwischen Management und Führung nahe: „Der Manager ist der Handwerker. Die Führungsperson ist der Poet, der Künstler.“