Kirchheimer Bürger halten Mahnwache - Landtagskandidaten bewerten Lage unterschiedlich
„Fukushima ist überall“

Nach den Reaktorunfällen in Japan diskutiert ganz Deutschland über die Zukunft der Kernenergie. Auch in Kirchheim halten Bürger Mahnwache und fordern den Ausstieg aus der Atomenergie. Die Landtagskandidaten bewerten die Lage unterschiedlich.

Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall

Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall

Kirchheim. Vor dem Kirchheimer Rathaus flackern ein paar Teelichter im Abendwind. Sie stehen auf einer schwarzen Tonne mit der Aufschrift „Atomkraft, nein danke“. Um die Tonne haben sich um die 150 Bürger aus Kirchheim und Umgebung versammelt, darunter der Landtagskandidat Andreas Schwarz (Grüne) und Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker. Sie halten Mahnwache und gedenken der Menschen in Japan. Willi Kamphausen, engagierter Kirchheimer Bürger, prangert den Umgang der Politik mit der Katastrophe an. Besonders die Ankündigung der schwarz-gelben Bundesregierung, die Laufzeitverlängerung auszusetzen, geht ihm gegen den Strich. „Für wie dumm halten die uns?“, fragt er.

Auch die Landtagskandidaten beschäftigen sich mit den Folgen der Katastrophe in Japan. Karl Zimmermann (CDU) warnt vor Schnellschüssen. Dass die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten nun aussetzen will, „betrachte ich etwas kritisch“, sagt er. Auf der anderen Seite müsse man den Sorgen der Menschen Rechnung tragen. Deshalb werde er in der Fraktionssitzung und der anschließenden Sondersitzung des Landtags, die am heutigen Dienstag stattfinden, Auskunft darüber verlangen, ob der Reaktor Philippsburg I (Landkreis Karlsruhe) erdbebensicher sei und ob das Kühlwassersystem unter keinen Umständen ausfallen könne. Philippsburg I ist, wie der japanische Unfallmeiler, ein Siedewasserreaktor.

Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall

Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall

„Wenn es nach mir ginge, könnte man Philippsburg I sofort abschalten“, sagt Karl Zimmermann. Natürlich müsse man prüfen, welche Vertragsbindungen es gebe. „Aufgrund der Entscheidung der Landesregierung, die EnBW-Aktien zurückzukaufen, können wir, unabhängig von Frankreich oder Berlin entscheiden, ob wir Meiler vom Netz nehmen“, betont Zimmermann. Das könne theoretisch auch Neckarwestheim (Landkreis Heilbronn) betreffen. Der CDU-Landtagsabgeordnete steht aber nach wie vor hinter der Kernenergie als Brücken­technologie, die aus seiner Sicht sicher ist. Ein zu schneller Ausstieg gefährde sowohl die Stabilität der Strompreise als auch die Versorgungssicherheit. „Wir sind bei der Windkraft noch nicht so weit“, sagt er. Atomkraftwerke im Land abzuschalten und das Defizit dann durch Zukauf aus anderen Ländern auszugleichen, hält er für inakzeptabel. Dass die Wähler infolge der Ereignisse in Japan der CDU den Rücken kehren könnten, schließt Zimmermann nicht aus. „Ich hoffe aber, dass der Wähler die Gesamtbilanz im Blick hat“, sagt er.

Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall
Mahnwache vor dem Rathaus fŸr Fukushima / Atomreaktor Zwischenfall
Sabine Fohler (SPD) zeigt sich am Tag vier des Reaktorunglücks „sehr betroffen, weil mal wieder etwas eingetreten ist, das zu befürchten war“. „Kernkraft ist nicht sicher“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete. „Das wussten wir vor Japan, aber es hat sich wieder mal bestätigt.“ Die Verlängerung der Laufzeiten sei das falsche Signal gewesen. Es gelte, den rot-grünen Atomkonsens wiederzufinden und die alten Kraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg möglichst unverzüglich abzuschalten. „Stefan Mappus, der sich maßgeblich für eine Verlängerung der Laufzeiten eingesetzt hat, ist mit seiner Energiepolitik gescheitert“, lautet ihr Urteil.

Der Unterstellung, Sozialdemokraten und Grünen käme der Unfall zwei Wochen vor der Landtagswahl gerade recht, schenkt Sabine Fohler keine Beachtung. „Natürlich freue ich mich nicht“, sagt sie. Die Forderung, aus der Kernenergie auszusteigen, sei überhaupt nichts Neues. Nun habe sie traurige Aktualität erlangt.

Ähnlich sieht es Landtagskandidat Andreas Schwarz (Bündnis 90/Die Grünen). „Mir läuft es jedes Mal kalt den Rücken runter, wenn ich die Bilder sehe“, sagt er. „Das ist die traurige Wahrheit über die Atomtechnologie.“ Die Grünen seien seit vielen Jahren der Meinung, dass Atomkraft gefährlich sei. Jetzt sei dieses traurige Ereignis Mittelpunkt der Diskussion geworden.

Aus den Reaktorunfällen in Japan gilt es Andreas Schwarz‘ Meinung nach, verschiedene Konsequenzen zu ziehen. Zunächst einmal müsse die Bundesrepublik den Menschen in Japan helfen, ohne dabei jedoch die Sicherheit eigener Bürger zu gefährden. Zweitens müssten die ältesten Reaktoren, nämlich Neckarwestheim I, Biblis A und B sowie Philippsburg sofort stillgelegt werden. „Das geht ohne Versorgungsengpässe“, sagt Andreas Schwarz, der „der Mär von der Stromlücke“ eine Absage erteilt. „In den letzten Jahren gab es in der Bundesrepub­lik immer genügend Strom, manchmal sogar Überschüsse.“ Die Ankündigung der schwarz-gelben Bundesregierung, die Laufzeitverlängerung auszusetzen, hält er für ein reines Lippenbekenntnis.

Auf Landesebene sieht Andreas Schwarz ebenfalls Handlungsbedarf. Wenn man Neckarwestheim I und Philippsburg abschalte, müsse das Ener­giekonzept der Landesregierung, das auf einen starken Atomanteil setzt, geändert werden. „Wir brauchen mehr Windräder in Baden-Württemberg und müssen noch viel mehr auf Sonnenenergie setzen“, macht Schwarz deutlich. Zudem fordert er, bei der Überprüfung der Reaktoren nicht nur wie bisher auf den TÜV zu setzen, sondern auch kernkraftkritische Sachverständige stärker einzubeziehen.

Rainer Stephan (FDP) beruft sich auf die offizielle Stellungnahme des FDP-Präsidiums. Sie enthält das Bekenntnis zur Kernkraft als Brückentechnologie und stellt klar: „Wir wollen den Umbau der Energieversorgung hin zum Zeitalter der erneuerbaren Energien“. Kritisch heißt es: „Der nukleare Notstand in japanischen Kernkraftwerken in der Folge der Naturkatastrophe hat uns das Problem der Beherrschbarkeit dieser Technologie erneut vor Augen geführt.“ Für die FDP habe Sicherheit weiter höchste Priorität - auch gegenüber wirtschaftlichen Interessen. Die FDP fordert deshalb unter anderem die Einsetzung einer unabhängigen Expertenkommission, die alle deutschen Kernkraftwerke auf Grundlage der Erkenntnisse aus Japan noch einmal überprüfen soll.

„Dass sich die Ereignisse in Japan auf das Wahlverhalten niederschlagen, ist sicher der Fall“, sagt Rainer Stephan, der die Sorgen der Bürger ernstnehmen will. Er glaube aber nicht, dass Atomkraft für die Wähler das größte Thema sein werde. „Ich hoffe, dass die Arbeit der christlich-liberalen Koalition in der Gesamtbetrachtung bei den Wählern ankommt.“

Info

Die nächste Mahnwache findet am Montag, 21. März, um 18 Uhr vor dem Rathaus statt.