Weilheim. Was für ein Abend. Rund um das Schiff der Weilheimer Peterskirche brütete die Hitze und drinnen wütete „Benefiz-Schwätzer“ Dr. Gerhard Raff im zügellosen Parforce-Ritt durch die Geschichte des Hauses Baden-Württemberg. Der „Multimillionenspender und Minimalverdiener“ eröffnete seine landes-
kundlichen Ausführungen, die in zuweilen sehr handfeste Anekdoten mündeten, mit Grüßen von Maximilian Markgraf von Baden und Herzog Friedrich von Württemberg. Zu guter Letzt sang die Versammlung „Preisend mit viel schönen Reden“ und dann tat sich der Himmel auf, um leider „kein Hirn ra“ sondern profanen Regen auf die Erde zu schicken.
Langeweile konnte beim Auftaktabend des Weilheimer Städtlesfests nicht aufkommen, denn Festredner Gerhard Raff, der bei Martin Decker-Hauff promovierte, ist schließlich kein blutleerer weltfremder Akademiker sondern vor allem auch „bekannt für seine freche aber segensreiche Gosch und Feder“.
Der als „(vogel-)freier Schriftsteller“ in Degerloch lebende Historiker, Theologe und Publizist, der auf Einladung der Stiftung Peterskirche nach Weilheim gekommen war, sorgte in gewohnter Art immer wieder dafür, dass niemand den eigentlichen Zweck der Lesung am Vorabend des Städtlesfests vergessen konnte.
Wichtiger als die Redner und Gastgeber gleichermaßen schmeichelnden herzoglichen Grüße, waren Raff die als Richtwert und „in aller Bescheidenheit“ vermeldeten Spendensummen, die bei unterschiedlichsten vorangegangenen Benefizveranstaltungen von ihm zusammengetragen werden konnten. Von Dr. Richard Freiherr von Weizsäcker als „Wohltäter der Menschheit“ geadelt, will Gerhard Raff diesem Ruf auch gerecht werden und daher immer wieder möglichst viel Geld „erraffen“.
Da der Zweck bekanntlich alle Mittel heiligt, zog er zum Wohl des Fortbestandes der Peterskirche alle Register und gab dem Publikum nicht viel Zeit, lange über das gerade Gesagte nachzudenken. Etwas ruhiger wurde er erst bei der abschließenden und von ihm selbst gleich als „kaffeefahrtmäßig“ eingestuften wohlwollenden Vorstellung eigener Werke, die er vor allem deshalb selbst loben könne, da sie ja für soziale und denkmalpflegerische Zwecke „verstiftet“ werden.
Aus dem prall gefüllten Fundus seiner schwäbischen Geschichten, die den Autor des inzwischen in 25. Auflage vorliegenden Klassikers „Herr, schmeiß Hirn ra“ zum „weltweit meistgelesenen Schriftsteller der Gegenwart“ gemacht haben, zog Gerhard Raff manche Trumpfkarte. Vergleichsweise lange und konzentriert sang er dabei das Hohelied auf Mechthild von der Pfalz, die schließlich „die G‘scheitheit nach Schwaben gebracht hatte“.
Da ihm sein Doktor-Vater Martin Decker-Hauff noch auf dem Sterbebett aufgegeben habe, die für die Gründung der Albrecht-Ludwig-Universität Freiburg und durch ihren Sohn Eberhard im Barte auch für die Gründung der Eberhard-Karls-Universität Tübingen verantwortlich zeichnende Mechthild, vor dem Vergessen zu bewahren, bemühte sich Gerhard Raff einst intensiv aber letztlich vergeblich darum, ihr Konterfei auf eine Sonderbriefmarke zu bringen.
Nachdem schon Bundespost-Minister Gscheidle nicht klug genug war, das zu tun, was Raff ihm vorschlug, holte sich der nicht so schnell aufgebende Wohltätigkeits-Aktivist auch bei dessen Nachfolger Schwarz-Schilling eine Absage, obwohl gleichzeitig „Kriegsverbrechern und Gallionsfiguren von Karnevalsvereinen“ genau diese Ehre zuteilwurde.
Vor „so viel Blödheit“ kapitulierend, setzte Gerhard Raff ein Schreiben auf, in dem er Minister Schwarz-Schilling – ein Schurke, der Böses dabei denkt – zunächst mit „Allerwertester“ ansprach, um ihm anschließend frank und frei mitzuteilen, dass er mit den Schwaben genau das machen könne, „was Schwaben mit seinen Briefmarken machen“. Um sicher zu gehen, dass er richtig verstanden wird, wies Raff darauf hin, dass eine – leider nicht existierende – Marke der Mechthild von Pfalz „hundert Mal lieber geleckt würde“, als eine Sondermarke für die vor allem mit dem missglückten Sexualkunde-Atlas in Verbindung gebrachte Käthe Strobel. Eine Antwort darauf habe er nie erhalten.
Dass er einer verschmutzten Jacke wegen einst einen Berlinaufenthalt frühzeitig beendete, kann sich Historiker Gerhard Raff bis heute nicht verzeihen. Seiner „Kehrwochenmentalität“ wegen verpasste er schließlich die einmalige Chance, Zeitzeuge eines historischen Ereignisses ersten Ranges zu werden. Nachdem er pünktlich um 18 Uhr in Stuttgart gelandet war, fiel um 18.53 Uhr in Berlin die Mauer . . .
Beeindruckt vom Engagement des überaus erfolgreichen Spendensammlers, der sich sein Studium der evangelischen Theologie und Geschichte in Tübingen als Bahn-, Bau- und Flughafenarbeiter sowie als wissenschaftliche Hilfskraft selbst finanzierte, bedankte Pfarrer Peter Brändle sich im Namen der Stiftung Peterskirche und wünschte ihm, dass dafür auch „Manches zurückkomme“.
Da offensichtlich auch kirchliche Stiftungen nicht frei sind von Konkurrenzdenken, vermeldete Pfarrer Brändle voller Stolz, dass es gelungen sei, mit einem aktuellen Spendenstand von 220 000 Euro die Stiftung Martinskirche „zu überholen“. Seine nicht ganz ernst gemeinte Hoffnung, dass es mit diesem fulminanten Abend 250 000 Euro werden könnten, verband er dann mit der Einladung an Gerhard Raff, die nächsten 50 Jahre im Kirchengärtle Kirschen und Äpfel ernten zu dürfen. Das von dem Gastredner schon vorab eingeforderte „Benzingeld“ war dann freilich sofort und gemeinsam zu entrichten. Sein Vorschlag, das „Lied der Württemberger“ zu singen, wurde gerne angenommen. Raff konnte damit auch noch seine Qualitäten als Vorsänger unter Beweis stellen.
Die Textsicherheit des so spontan ins Leben gerufenen „Raff-Chors“ zeigte, dass die Vertonung des Gedichts „Der reichste Fürst“, das Justinus Kerner zu Ehren des Grafen Eberhard im Bart geschrieben hat, noch immer präsent ist. Nach der Ode an den Universitätsgründer klang der vielseitige Abend in der Peterskirche mit der Goll-Orgel aus, während draußen dunkle Gewitterwolken aufzogen.