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Geballte Kompetenz unter einem Dach

Medizin Der Mangel an Hausärzten macht sich vor allem auf dem Land bemerkbar. Die Gemeinden Hülben, Erkenbrechtsweiler und Grabenstetten wollen mit einem neuen Modell gegensteuern. Von Thomas Schorradt

Vielerorts fehlen Haus­ärzte, vor allem auf dem Land. Mit diesem Problem sind die Gemeinden Erkenbrechtsweiler, Hülben und Grabenstetten nicht alleine. Ein Alleinstellungsmerkmal ist allerdings der Lösungsansatz, mit dem die drei Albgemeinden dem Notstand abhelfen wollen. Sie haben eine Genossenschaft gegründet, die Ärzte, Kommunen und bei Bedarf auch Kliniken enger zusammenbringt.

Die jetzt in Hülben gegründete gemeinnützige Genossenschaft MED-VA eG ist die dritte ihrer Art in Deutschland. Einzigartig dagegen ist der darüber hinaus gehende ganzheitliche Ansatz, mit dem die 3100 Einwohner zählende Gemeinde die gesundheitliche Betreuung nicht nur am Ort, sondern auch für die beiden Nachbarkommunen organisiert. „Bis Ende des Jahres 2023 werden wir in der Ortsmitte über ein landesweit einmaliges Gesundheitszentrum mit vier neuen Gebäuden verfügen. Damit decken wir die komplette Bandbreite der Gesundheitsvorsorge ab“, sagt der Hülbener Bürgermeister, Siegmund Ganser, auf dessen Schreibtisch die Idee Gestalt angenommen hat. Ein Investor, der auf rund 7000 Quadratmeter Fläche das Ensemble aus Kurzzeitpflege, Tagespflege, Präventionszentrum und Ärztehaus baut, ist seinen Worten zufolge schon gefunden.

Ursprünglich hatte die Gemeinde nur die hausärztliche Versorgung vor Ort langfristig sichern wollen. Daraus entwickelte sich dann der Genossenschaftsgedanke unter Einbeziehung der Nachbargemeinden. „Mit der Gründung dieser Genossenschaft legen wir den Grundstein für eine dauerhafte Zukunftssicherung der medizinischen Grundversorgung auf der Vorderen Alb“, sagt der Bürgermeister. Die Genossenschaft biete attraktive Rahmenbedingungen sowohl für junge, als auch für ältere Ärzte, die eine Nachfolgelösung für ihre Praxis suchten.

Durch die Altersstruktur der niedergelassenen Ärzte, aber auch durch den wachsenden medizinischen Versorgungsbedarf einer älter werdenden Bevölkerung ist die gesundheitliche Versorgung gerade in ländlichen Regionen oft gefährdet. In Hülben soll mit Hilfe der Genossenschaft nicht nur der Fortbestand der ortsansässigen Praxis gesichert werden, sondern auch die Hausarztpraxen in der Nachbarschaft angesprochen werden.

Das hausärztliche medizinische Versorgungszentrum, in dem drei Hausärzte praktizieren werden, ist die Keimzelle. Das Sahnehäubchen aber ist das von der Gemeinde Hülben mit Unterstützung des Landratsamtes Reutlingen angedockte Gesundheitszentrum, das seinerseits konzeptionell mit einem Präventions- und einem Nachsorgezentrum zur rehabilitativen Kurzzeitpflege verbunden sein wird. Die Robert-Bosch-Stiftung, die den Aufbau dieser patientenorientierten Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung (PORT) ) unterstützt, fördert das Vorhaben in Hülben unter anderem durch die Finanzierung einer Stelle für eine Community Health Nurse. Diese wird als Gesundheits- und Versorgungslot­sin die Patienten begleiten und gemeinsam mit ihnen und in enger Abstimmung mit den behandelnden Therapeuten die jeweils passgenauen Patientenpfade bahnen.

Begleitet wird der ganze Prozess von der Beratungsfirma Diomedes, die das Genossenschaftsmodell entwickelt und im Nordschwarzwald schon erfolgreich umgesetzt hat. Ein wichtiges Argument ist das geringe Risiko für alle Beteiligten: „Die Haftungs­risiken der Mitglieder bei diesem Genossenschaftsmodell sind minimal“, sagt der Diomedes-Geschäftsführer, Martin Felger. Die Erträge der Genossenschaft werden seinen Worten zufolge nicht ausgeschüttet, sondern für fortlaufende Schulungen und Investitionen in die Praxis verwendet. Auch die Gemeinden seien lediglich Gewährsträger.

Nach Siegmund Gansers Einschätzung ist das Modell vor allem auch für junge Ärztinnen interessant. „Sie können sich als Angestellte der Genossenschaft ohne finanzielles Risiko, befreit von den üblichen bürokratischen Zwängen wie Abrechnung und Geschäftsführung, auf die medizinische Arbeit konzentrieren. Und wenn die Praxis Erfolg hat, zieht die Genossenschaft sich zurück und ermög­licht den problemlosen Wechsel in die Selbstständigkeit“, sagt er. Auch Teilzeitmodelle seien in fast jeder Form möglich. Beruf, Familie und Freizeit ließen sich so leichter vereinbaren.

Aber auch für ältere Ärztinnen oder Ärzte ist die Genossenschaftsidee ein Vorteil. Sie können ihre Praxis in die Genossenschaft einbringen und deren Bestand sichern. Zudem können sie ihre hausärztliche Tätigkeit auch im Rentenalter fortführen und dabei die Arbeitszeiten schrittweise reduzieren. „So können wir den Erfahrungsschatz dieser Generation für unsere Patienten und für die Ausbildung der jungen Ärztegeneration länger erhalten“, sagt Martin Felger.