Vor Jahren haben einmal Kinder bei einer Malaktion in Kirchheim ihr Bild von Gott gemalt. In einigen Bildern war klar zu sehen: Bei Gott, im Himmel, da gibt es nicht nur Engel oder Menschen, sondern selbstverständlich auch Tiere. Haben Tiere denn auch eine Seele? Es gibt leider einen langen Prozess der „Entseelung“ der Tiere in der abendländischen Geistesgeschichte. Der Philosoph Rene Descartes ist dafür ein markantes Beispiel. Da die Tiere seiner Ansicht nach ohne Vernunft sind, seien sie im Grunde seelenlose Automaten.
Leider hat ein Missverständnis in der christlichen Kirche einen großen Anteil an der Verdinglichung der Mitgeschöpfe des Menschen. In der theologischen Tradition galt die Natur bis ins späte 20. Jahrhundert als Verfügungsmasse, die der Mensch, die vermeintliche „Krone der Schöpfung“, nutzen und ausbeuten kann. „. . . und machet euch die Erde untertan und herrscht über die Fische, die Vögel und das Vieh. . .“. Diese Übersetzung Martin Luthers ist weithin als Ausbeutungsfreibrief verstanden worden. Es ist aber eigentlich ein Fürsorgeauftrag. Als Stellvertreter Gottes sollen Menschen wie gute Hirten für die Geschöpfe sorgen - so ist der grundsätzliche Auftrag Gottes an die Menschen in der Bibel gemeint.
Dass der Mensch die Schöpfung willkürlich ausnützen könne - ein schlimmes Missverständnis! Die Welt als Schöpfung Gottes zu verstehen, bedeutet gerade nicht, sie als Welt des Menschen anzusehen. Sie bleibt Gottes Eigentum! Sie ist vom Menschen als Leihgabe zu verwalten. Beim Apostel Paulus lesen wir, dass die Mitgeschöpfe des Menschen in die Erwartung einer endzeitlichen Vollendung der Schöpfung ausdrücklich eingeschlossen sind! Gott erlöst die ganze Schöpfung, nicht nur den Menschen - so lautet die biblische Verheißung. Tiere und Pflanzen sind keine Sachen, sondern Wegbegleiter von uns Menschen! Das ist nicht gemeint als romantisierte Vorstellung: Tiere und Pflanzen können dem Menschen im Überlebenskampf auch feindlich und gefährlich sein - aber alle Geschöpfe sind in der Natur der Erde, die unsere gemeinsame Lebensgrundlage ist, unverzichtbar miteinander verwoben.
Dieses Zittergras, diese Sommerlinde, dieser Distelfalter, dieser Grasfrosch, dieses Reh, diese Milchkuh - nur wenn wir diese schönen Mitgeschöpfe wirklich wahrnehmen und in ihrer Würde respektieren, werden wir genug Bewusstsein entwickeln, sie wirklich zu schützen vor massenhafter Qual in der Massentierhaltung, vor Ausbeutung und Ausrottung in fortschreitender Umweltzerstörung.
Jochen Maier
Pfarrer an der Martinskirche in Kirchheim