Hat Martin Buber, der jüdische Religionsphilosoph, nicht recht, wenn er sagt: „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ oder alles wirkliche Leben ist ein Aufeinanderzugehen - nur wenn das geschieht, kommt es zum Fest des Lebens?
Würde Martin Buber solch einen Satz auch mitten in der Coronapandemie so formulieren - „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“? Muss hier nicht sinnvollerweise unserer Gesundheit wegen Martin Buber widersprochen werden? Wir reden im Moment weniger von Begegnungen, viel mehr von Abstand halten, Quarantäne, Ausfallen von Festen, Video- konferenzen, digitalem Lernen und Teilnehmerbeschränkungen.
Zu Recht gehen wir mit Begegnungen in der Coronapandemie sehr vorsichtig um. Keiner will Schuld sein an vermeidbaren Ansteckungen, und keiner will auch angesteckt werden. Verständlich, dass sich so auch viele ganz zurückziehen und schon seit März eigentlich kaum mehr zu sehen sind. Warten, bis die Pandemie überstanden ist, ist sicher für viele mehr als sinnvoll, und gerade für Risikogruppen wärmstens zu empfehlen.
Kein Mensch ist aber eine Insel. Zugegeben eine triviale Feststellung. Gewiss. Offensichtlich braucht der Mensch neben seiner Gesundheit auch noch andere „Lebensmittel“. So wenig kein Mensch ohne Brot zu leben vermag, so wenig vermag der Mensch vom Brot allein zu leben.
Die grausame Wahrheit dieser Einsicht hat ein Experiment gezeigt, dass der Staufer Friedrich II. im 13. Jahrhundert veranlasst hatte: Um herauszufinden, welche Sprache Kinder von sich aus sprechen, ließ er Neugeborene ihren Müttern wegnehmen, trug Ammen auf, die Säuglinge zu ernähren und zu baden, verbot ihnen jedoch, mit den Kindern zu sprechen und untersagte ihnen jede Form liebender Zuwendung. Auf seine Frage erhielt Friedrich II. allerdings keine Antwort. Das Experiment misslang, denn alle Kinder starben. Die Kinder konnten „vom Brot allein“ eben nicht leben, sie starben, weil sie in ihrem Leben das nicht spüren durften, wofür „liebende Begegnung“, Zuwendung und Seelsorge stehen. Leben ist möglich ohne Begegnung. Aber wirkliches Leben braucht Begegnung. Wünschenswert ist es deshalb, dass hoffentlich bald auch wieder Begegnungen möglich werden, ohne Ängste aushalten zu müssen, dass man angesteckt wird oder andere ansteckt und so auch wirkliches Leben wieder mehr spürbar werden kann.
Franz Keil
katholischer Pfarrer von St. Ulrich, Kirchheim