Vollstreckungsbeamte des Finanzamts erleben so einiges – Empfindlich dürfen sie nicht sein
Geldeintreiber für den Staat

Bei manchen Menschen sträuben sich schon die Nackenhaare, wenn sie nur das Wörtchen Finanzamt hören. Doch am Bezahlen seiner Steuerschuld kommt man nicht vorbei – wer‘s versucht, landet schnell auf der Vollstreckungsstelle der Behörde.

Kirchheim. Sich an seine Steuererklärung zu setzen, ist für die meisten Menschen nicht gerade ein vergnügungssteuerpflichtiger Zeitvertreib. Wenn dann auch noch eine dicke Steuernachzahlung herauskommt, löst sich die Freundschaft mit dem Finanzamt flugs in Luft auf. Wer seine Steuern nicht bezahlen will oder kann, macht bald mit den Mitarbeitern der Vollstreckungsstelle Bekanntschaft. Sie sind sozusagen die Geldeintreiber, die den unwilligen Steuerzahlern durch unterschiedliche Maßnahmen zum Begleichen ihrer Schuld auffordern – und dabei auch mal härter vorgehen müssen. Schließlich darf „der nicht zahlende gegenüber dem pünktlich zahlenden Steuerpflichtigen keinen Vorteil haben“, betont der Sachgebietsleiter der Vollstreckungsstelle des Finanzamts Nürtingen mit der Außenstelle in Kirchheim, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

Wenn ein Bürger seine Steuern nicht bezahlt, steht bei ihm aber nicht gleich der Vollstrecker vor der Tür, fügt der Sachgebietsleiter hinzu. Zunächst werde der Steuerpflichtige zwei Mal schriftlich ermahnt. „In den meisten Fällen wird er dann vom Innendienst der Vollstreckungsstelle nochmals angeschrieben.“ Bleibt auch das ohne Erfolg, ergreifen die Finanzamtsmitarbeiter Vollstreckungsmaßnahmen. Sie können zum Beispiel Bankkonten, Löhne und Gehälter, Bausparverträge oder Lebensversicherungen pfänden. „Außerdem sind alle Vermögensgegenstände pfändbar“, fügt Jürgen Lieven, Vorsteher des Finanzamts Nürtingen, hinzu. Allerdings kommt es mittlerweile immer seltener vor, dass die Vollstrecker zum Beispiel Autos oder Fernsehgeräte an sich nehmen. Denn zum einen könne man bei Versteigerungen der Gegenstände immer weniger Geld einnehmen, erklärt der Sachgebietsleiter. Und zum anderen „leben wir in einer Leasing-Gesellschaft“, fügt ein Vollstrecker des Nürtinger Finanzamts hinzu, der seinen Namen ebenfalls nicht nennen will.

Seit 1973 ist der Vollstreckungsmitarbeiter im Außendienst tätig. In dieser Zeit hat er einiges, oft auch Trauriges und Brutales, erlebt. Zu Beginn seiner Tätigkeit ging zum Beispiel ein Mann mit einem Messer auf ihn los. Ein anderes Mal wurde er von einem Choleriker aufs Heftigste verbal angegriffen. „Damals hatte ich richtig Angst“, erzählt der Beamte. In beiden Fällen gelang es ihm zum Glück, die Wohnungen rechtzeitig verlassen zu können – zunächst aber freilich ohne Erfolg.

Bei zahlreichen Steuerpflichtigen, die auf der Vollstreckungsstelle „landen“, stecke Armut dahinter – oft aber auch nur bloße Schlamperei, weiß der Vollzieher. „Den Satz ,Ich möchte zahlen, aber ich kann nicht‘ höre ich oft. Viele Menschen haben ein Einkommen, das nur bis zum 25. des Monats reicht.“ Häufig sehe er in den Wohnungen stapelweise ungeöffnete Briefe herumliegen. Viele Menschen seien mit ihrem Leben schlichtweg überfordert. Hier bringe er mittlerweile Verständnis auf, betont der Finanzamtsmitarbeiter. „Ich versuche, bei meiner Arbeit erfolgreich zu sein und trotzdem Mensch zu bleiben.“ Es sei wichtig, in seinem „Kunden“ den Menschen und nicht den Verbrecher zu sehen.

Im Monat bearbeitet der Vollziehungsbeamte zwischen 180 und 300 Fälle und treibt zwischen 80 000 und 200 000 Euro ein. Seine „Kundschaft“ reicht dabei „von ganz einfachen Menschen bis hin zu Anwälten und Ärzten“. Freilich hat der Vollzieher auch Stammkunden, deren Akten sich Jahr für Jahr auf seinem Schreibtisch wiederfinden. In jedem Einzelfall überlegt er sich genau, wie er vorgeht – ob er den Menschen einen Besuch abstattet oder die Sache telefonisch klären kann. „Mein oberstes Ziel ist es, Bargeld zu bekommen – oder Schecks, wenn sie gedeckt sind.“ Manchmal pfändet er aber auch Münzsammlungen, teure Uhren, Schmuck oder andere Gegenstände.

Letzteres könne bisweilen Wunder wirken, weiß der Vollzieher. So sei er jüngst in einem besonders hartnäckigem Fall mit einem Durchsuchungsbeschluss in der Tasche in eine Wohnung eingedrungen. Dort stieß er auf ein neues, noch verpacktes Fernsehgerät samt Quittung, das er sofort beschlagnahmte. „Zwei Stunden später kam der Steuerpflichtige vorbei, brachte mir das Geld und nahm seinen Fernseher wieder mit“, erzählt der Beamte schmunzelnd.

In den meisten Fällen sei es indes wichtig, dass man den Menschen das Gefühl gibt, verstanden zu werden – „auch, wenn ich nicht alles gut heiße, was sie machen“, erklärt der Vollzieher. Oft sei man Seelsorger, man erfahre viel Privates, erlebe Schicksale wie Krankheiten oder Suizide in Familien mit. „Manche haben niemanden zum Reden. Da muss man einfach nur zuhören“, weiß der erfahrene Finanzbeamte. Vor Kurzem habe ihn beispielsweise eine Frau angerufen. „Sie sagte, sie bringt das Geld vorbei. Dann stand sie vor mir, weinte und erzählte, dass ihr Mann sie verlassen hatte.“

In vielen anderen Fällen wiederum müsse man aber auch „ein harter Hund sein und durchgreifen“. Häufig werde man beschimpft und angelogen. „Da kommt es dann auch mal vor, dass ich selbst schreien muss.“

Empfindlich darf jemand, der den Beruf des Vollstreckungsbeamten im Außendienst ausübt, jedenfalls nicht sein. Denn ab und an findet man auch Wohnungen vor, die nicht gerade den Vorstellungen der schwäbischen Sauberkeit entsprechen, erzählt der Beamte. So musste er auch schon die ein oder andere Messie-Wohnung betreten, in der Tierkot, Essensreste und alles Mögliche den Fußboden bedeckten. „Da wird es einem schon manchmal speiübel“, erzählt der Vollzieher. Eines hat er während seiner langjährigen Tätigkeit als Geldeintreiber aber festgestellt: „Bei Ausländern kommen solche Wohnungen nicht vor. Dort ist es immer ordentlich und sauber.“