Erkenbrechtsweiler. Der Heidengraben ist ein Zeugnis menschlicher Geschichte, Kultur und Entwicklung. Über das keltische Oppidum, das im ersten Jahrhundert vor Christus, zwischen Grabenstetten, Hülben und Erkenbrechtsweiler entstanden ist, liegen nur wenige Informationen vor. Bis heute wurden die Wallanlagen der Siedlung nie vollständig rekonstruiert. Ebenso blieben größere archäologische Grabungen bis dato aus. Die Informationslage ist damit dürftig, umso ehrgeiziger ist das Vorhaben des Filmemachers Dieter Hagmann vom 3dmuseum und Achim Lehmkuhl, einen Film über die Siedlungsanlage zu produzieren. Der soll nicht nur aus Interviews mit Archäologen und Historikern bestehen. Vielmehr werden in der 45 Minuten langen Dokumentation die Kelten durch 3D-Animationen zum Leben erweckt.
Im Zentrum des Films stehen viele Fragen: Wie sah die Kernstadt des Oppidums aus? Wie waren die keltischen Wallanlagen rings um die Siedlung beschaffen? Wie vollzog sich das Leben der Kelten am Heidengraben? Und wie gelang es den Menschen in der damaligen Zeit, Waren von Südeuropa bis auf die Schwäbische Alb zu transportieren? Dieter Hagmann und Achim Lehmkuhl müssen viele Mosaiksteine zusammentragen, um ein ganzheitliches Bild der jüngeren vorrömischen Eisenzeit und der keltischen Kultur zu skizzieren. „Die Informationen sind weit gestreut“, sagt Hagmann. „Wir müssen mit vielen Archäologen und Volkskundlern sprechen, um zu rekonstruieren, wie die Kernstadt des Oppidums oder das Dorfleben ausgesehen hat.“
Gerade mal ein Prozent der Siedlungsanlage am Heidengraben ist archäologisch erforscht worden. Damit steht Dieter Hagmann vor der Herausforderung, die Straßenverläufe anhand der Wallanlage, der Torzugänge und der heutigen Feldwege, die größtenteils den damaligen Bewirtschaftungswegen entsprechen, zu rekonstruieren. „Auch heute noch gibt es Wasserquellen, die bereits im ersten Jahrhundert vor Christus bestanden haben“, berichtet Hagmann. „Also können wir davon ausgehen, dass ein Bewirtschaftungsweg dort hinführte.“
Einige Häuserreste des Oppidums wurden von Archäologen ausgegraben. Über die Länge und Breite der Bauten liegen damit einige wenige Erkenntnisse vor. „Von Grabungen an anderen Orten wissen wir beispielsweise, dass die Holzhäuser zum Teil mit Kalk verputzt waren, dass es keine Raumtrennung gab und dass die Dächer aus Stroh oder Holzschindeln bestanden“, erzählt Dieter Hagmann. Daher lassen sich die Unterkünfte der Kelten relativ leicht rekonstruieren. Auch die Ausrüstung der keltischen Krieger ist gut erforscht. „Funde von Schwertern und Schilden von anderen Fundorten erleichtern die Rekonstruktion“, sagt Achim Lehmkuhl.
Seit Jahren sammelt der ehrenamtlich Beauftragte der Denkmalpflege für den Heidengraben auf dem Gelände des Oppidums keltische Hinterlassenschaften wie Tonscherben und Glasarmringe. Bei seinen Streifzügen über die Äcker ist Lehmkuhl auf viele Scherben von zahlreichen Amphoren gestoßen. Diese werden im Animations-Film erneut mit Rebsaft gefüllt und von Mittelitalien über das Mittelmeer nach Frankreich und von dort über die Rhone, den Rhein und den Neckar auf die Schwäbische Alb transportiert. Gemächlich ziehen Ochsen im Film ein hölzernes Fuhrwerk hinter sich her. Auf seiner Ladefläche sind die tönernen Weingefäße zu sehen.
Mit spezieller 3D-Software entwirft Dieter Hagmann nach dem Vorbild der gefundenen Tonscherben unter anderem die Amphoren am PC. Dieter Hagmann, der seit vielen Jahren geschichtliche und naturwissenschaftliche Inhalte in Filmen und Animationen einem breiten Publikum zugänglich macht, nimmt als Grundform einen Zylinder. Den formt er im Animationsprogramm so lange um, bis dieser die Form einer Amphore annimmt. Für Pferde, Ochsen, Menschen oder Bäume, die im Film später zu sehen sind, wird es jedoch komplizierter. Fuhrwerke, Schwerter, Schilde und Wallanlagen müssen in diffiziler Kleinarbeit erst entworfen und dann aufwendig animiert werden.
Die Planungen für diesen Film laufen bereits seit über drei Jahren. Vor etwa einem Jahr hat Dieter Hagmann mit der Arbeit an dem Film begonnen. Frühestens im September, wenn in Grabenstetten, Hülben und Erkenbrechtsweiler das Keltenfest gefeiert wird, soll die Dokumentation fertig sein. Bis dahin wird Hagmann mit der HD-Kamera Eindrücke vom Oppidum einfangen, Archäologen und Volkskundler interviewen und Achim Lehmkuhl bei seinen Streifzügen begleiten. Am Ende wird ein 3D-Animationsfilm zu sehen sein, der auch das Leben am Heidengraben in der Spätlatènezeit anschaulich dokumentiert.
„Über die Keltensiedlung ist viel berichtet worden, in Zeitungen und im Radio“, sagt Dieter Hagmann. „Aber einen Film über den Heidengraben hat es noch nie gegeben.“ Der Filmemacher ist überzeugt, dass die Dokumentation die Bedeutung des Heidengrabens in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt. „Denn erstmals wird mit moderner Technik eine längst vergangene Zeit in Bilder übersetzt“, erklärt Hagmann. „So wird zum ersten Mal für ein breites Publikum nachvollziehbar, was hinter den archäologischen Überresten des Heidengrabens steckt.“
Über die Spätlatènezeit ist wenig bekannt. Ob Religion, Gesellschaftsaufbau, Rituale oder Traditionen – vieles aus dieser Zeit ist noch unerschlossen, weil Schriftdokumente der Kelten fehlen und diese ihre Toten auch verbrannten. „Gräber, die über Bestattungsriten Auskunft geben, Skelette, die durch Analysen Rückschlüsse auf Hungersnöte, Ernährungsgewohnheiten, Krankheiten und Todesumstände zulassen, fehlen im süddeutschen Raum“, so Achim Lehmkuhl, für den der Film damit an Bedeutung gewinnt.
Entstanden im ersten Jahrhundert vor Christus öffnet das zwischen Grabenstetten, Hülben und Erkenbrechtsweiler liegende keltische Oppidum den Blick in die Latènezeit, eine Epoche der jüngeren vorrömischen Eisenzeit. Schriftdokumente, die Aufschluss über die Gesellschaft, Religion oder Traditionen der Kelten geben, existieren nur aufgrund der Geschichtsschreibung der mediterranen Nachbarn dieser antiken Volksgruppe. Die Kelten selbst gaben ihr Wissen nur mündlich weiter.