Bissingen. Die Stühle reichten bei Weitem nicht aus, um den vielen Zuhörern im großen Sitzungssaal des Rathauses Platz zu bieten. Mitten unter ihnen der Bauherr, Landwirt Karl-Heinz Reichert. Auch im Foyer vor dem Saal verfolgten Bürger das Geschehen im Ratsrund. Die Verwaltung hatte dazu eigens eine Lautsprecheranlage installieren lassen. Anlass für das große Interesse der Bissinger war der einzige Tagesordnungspunkt der Sondersitzung „Stellungnahme zu Baugesuch: Biogasanlage, Schuläcker 1“.
Bürgermeister Marcel Musolf umriss kurz die Vorgeschichte. Bereits 2010 sei Reicherts erster Bauantrag vom Gemeinderat abgelehnt worden, da Unterlagen fehlten. Nach einem Suchlauf für alternative Standorte reichte der Landwirt einen zweiten Antrag ein. Daraufhin stellten Verwaltung und Bauherr in einer Informationsveranstaltung nach Ostern interessierten Bürgern das Vorhaben vor. Bereits damals wurde die ablehnende Haltung vieler Bissinger gegenüber dem Standort, der nur rund 150 Meter von den letzten Häusern der Mühlstraße entfernt liegt, offenkundig.
Nach der Bürgerinformation beauftragte das Ratsgremium zwei Fachbüros mit einem Gutachten. „Wir wollten wissen, ob der Feldweg ausreicht, um die Biogasanlage zu erschließen“, sagte Bürgermeister Musolf. Dies verneinte der in der Sitzung anwesende Gutachter des Stuttgarter Ingenieurbüros Hettler und Partner, Siegbert Spies. Er hatte gemeinsam mit dem Kirchheimer Institut für Hydrogeologie, Umweltgeologie, Baugrunduntersuchung und Geoinformatik BWU den Feldweg auf seine Beschaffenheit und Standfestigkeit hin untersucht. Sein Fazit fiel verheerend aus: „Der Feldweg ist in seinem jetzigen Zustand nicht für einen klassifizierten Straßenbau tauglich.“ Ein Ausbau bis zum Areal der geplanten Biosgasanlage würde die Gemeinde rund 85 000 Euro kosten. Für einen Straßenoberbau bis zur Mühlstraße müsste sie gar 125 000 Euro berappen.
Bei dieser Sachlage wollte Bissingens Bürgermeister das Einvernehmen aus Sicht der Verwaltung nicht erteilen. „Würden wir jetzt Ja sagen und würden später größere Schäden am Feldweg auftreten, so könnte die Gemeinde richterlich dazu verdonnert werden, den Weg zu sanieren“, gab er zu bedenken. Außerdem stand für Marcel Musolf fest: „Das gibt der aktuelle Haushalt nicht her.“
Auf Nachfragen von Rolf-Rüdiger Most und Joachim Maszurim verwies Siegbert Spies auf die Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen, RStO, die ihm als Grundlage dienten. Damit 40-Tonner den Weg befahren könnten, seien ein frostsicherer Aufbau und eine Asphaltdeckschicht notwendig. Die Straßenbreite gab Spies mit drei Meter plus Bankett von einem halben Meter an. Uli Berger wollte wissen, ob die Richtlinien ohne Kenntnis des Landwirts angewandt wurden. Das war nicht der Fall. Spies: „Die Richtlinien sind über Jahre gewachsen. Es wäre töricht, davon abzuweichen.“
Rainer Merkle stimmte Bürgermeister Musolf zu: „Wir sollten das Einvernehmen erst erteilen, wenn eine ordentliche Zufahrt für den Schwerlastverkehr gewährleistet ist.“ Außerdem hielt er eine Straßenbreite von drei Metern für zu eng. Hier hakte Uli Hoyler nach: „Was passiert bei Gegenverkehr?“ Dann müsste die Straße mindestens 5,50 Meter breit sein oder Ausweichstellen besitzen, sagte der Experte und stimmte Martin Oelkrug zu: „Der Weg entspricht bereits heute schon nicht mehr einer ordentlichen Feldwegnutzung.“ Über kurz oder lang stehe das Thema Feldwegkonzeption ohnehin auf der Tagesordnung, meinte daraufhin Bürgermeister Musolf.
„Wenn die Gemeinde den Weg bauen würde, müssten die benachteiligten Bürger doppelt bezahlen“, lehnte auch Uli Hoyler das Einvernehmen ab. Dagegen wollte Martin Oelkrug dem Landwirt eine Chance geben, indem ihm die Möglichkeit eröffnet werden solle, sich an den Kosten des Weges zu beteiligen. Im Übrigen könne die Gemeinde doch später auch mit Gewerbesteuer rechnen, sprach der Gemeinderat für das Bauvorhaben.
„Das Landratsamt wird ebenfalls die Erschließung prüfen. Die können auch zu einem anderen Schluss kommen“, meinte der Bürgermeister. „Was die Gewerbesteuer betrifft, so liegt mir keine Wirtschaftlichkeitsberechnung vor.“ Es sei nicht abzusehen, ob und wie viel Steuern durch die Biogasanlage ins Gemeindesäckel fließen würden. Außerdem erinnerte Marcel Musolf daran, dass die Bürgervertreter vor einem Jahr bei der Haushaltsdebatte jeden Euro umgedreht hätten. Jetzt auf eine vage Steueraussage hin den Invest für den Wegebau zu tätigen, sei nicht drin. Diese Ansicht vertrat auch Andreas Allmendinger. „Das ist nicht Aufgabe der Gemeinde.“ Joachim Maszurim regte an, trotz der negativen Entscheidung mit dem Landwirt über andere Standorte zu sprechen.
Rolf-Rüdiger Most rief, „nachdem das Interesse so groß ist“, noch einmal die Argumente der Gegner und Befürworter der Biogasanlage in Erinnerung und erläuterte die gesetzlichen Vorgaben sowie die „Aufgabenverteilung“ des Landratsamts und der Gemeinde im Rahmen der Genehmigung. Sein Resümee: „Die Gemeinde hat durch das Bauvorhaben finanzielle Nachteile, die sie nicht ausgleichen kann.“ Die Bürgervertreter folgten deshalb mit elf Stimmen dem Verwaltungsvorschlag und versagten das Einvernehmen zum Bau der Biogasanlage. Dafür erhielten sie von den Zuhörern offenen Beifall. Drei Gemeinderäte sprachen sich für die Anlage am beantragten Standort aus.
Das weitere Verfahren liegt nun in Händen der Genehmigungsbehörde. Wie der Leiter des Amts für Bauen und Naturschutz im Landratsamt, Gerd Schmid, mitteilte, rechnet er nicht vor Ende Juni mit einer Entscheidung. Es fehlen noch Fachstellungnahmen des Landwirtschaftsamts, ein Artenschutzgutachten wurde nachgefordert und die Behörde werde auch das Erschließungsgutachten genau studieren. Karl-Heinz Reichert will unterdessen abwarten, wie das Landratsamt entscheidet und „dann sehen wir weiter“.