Kirchheim. Zum ersten Mal bot das CJD Jugenddorf Hohenreisach in Kooperation mit der Jugendagentur, der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer Region Stuttgart einen Handwerkstag für Schülerinnen an. Zwar nahmen nur wenige Mädchen das Angebot wahr, dafür zeigten sich diejenigen, die das Jugenddorf besuchten, umso mehr begeistert. So auch Bettina. Die 13-Jährige versuchte sich als Landschaftsgärtnerin. Unter Anleitung von Ausbilderin und Landschaftsarchitektin Corinna Westermann legte die Werkrealschülerin aus Steinplatten und Pflastersteinen einen Weg an. Mit dem Hammer klopfte sie auf die Platten. Dann griff sie zur Wasserwaage, um sicherzustellen, dass die Steinplatten eben auf dem Untergrund aufliegen.
Bettina macht das nicht zu ersten Mal. Schon oft hat sie mit ihrem Vater einen Weg angelegt und auch beim Umbau des Hauses ihrer Eltern mitgeholfen. Mit Hammer, Meterstab und Wasserwaage kann die 13-Jährige sehr gut umgehen. Sie kann sich durchaus vorstellen, nach der Schule eine Ausbildung im Handwerk zu beginnen. „Vor den Sommerferien machen wir in der Schule noch ein Betriebspraktikum“, erzählt Bettina. „Das will ich auch in einem Handwerksbetrieb machen.“ Die Arbeit macht der Siebtklässlerin Spaß. „Man sieht, was man geleistet hat“, sagt sie. Ihre Mutter, Susanne Rehm, ist vom Handwerkstag für Mädchen begeistert. Sie findet es gut, dass die Schülerinnen sich praktisch betätigen können: „Ich denke, dadurch erhalten die Mädchen eine bessere Vorstellung von den Anforderungen, die ein Beruf mit sich bringt.“
Darüber hinaus konnten sich die Mädchen auch in den Bereichen Metall, Holz, Blumen- und Zierpflanzenbau, Farb- und Raumgestaltung sowie dem Berufsfeld Bauzeichner praktisch erproben. Im Bereich Farb- und Raumgestaltungen erhielten sie Einblicke in verschiedene Techniken, mit denen Farbe auf Gegenstände aufgetragen werden kann. Darunter die Schwamm- oder Sprenkeltechniken, mit denen sich auch dekorative Effekte erzielen lassen. Laut Thomas Osing, Maler- und Lackierermeister, lassen sich auf diese Weise Mädchen leichter ermutigen sich an handwerkliches Arbeiten heranzuwagen.
Inge Starzmann, Leiterin des Jugenddorfes, erklärte, dass der Aktionstag dazu beitragen soll, Mädchen für Handwerksberufe zu begeistern: „Sie sollen einen Impuls erhalten, um sich bei der Berufswahl nicht allein auf die klassischen Frauenberufe zu konzentrieren.“ Deshalb stehe beim Handwerkstag für Mädchen im Vordergrund, an sich selbst neue Talente zu entdecken.
„Wir haben auch bewusst versucht, die Klassenstufe sechs einzubinden, um möglichst früh mit der Berufsorientierung anzusetzen“, sagte Birgit Häbich-Kampourakis. „Wir haben festgestellt: Je früher man die Mädchen mit untypischen Dingen, in diesem Fall Handwerksberufen, anspricht, desto unvoreingenommener lassen sie sich darauf ein.“ Die Sozialpädagogin von der Jugendagentur Kirchheim-Nürtingen ist überzeugt, dass Schülerinnen, die sich frühzeitig mit der Berufswahl auseinandersetzen, sich bewusster für eine Ausbildung, auch in einem Handwerksberuf, entscheiden. Mit dem Aktionstag soll laut Birgit Häbich-Kampourakis für Schülerinnen wie Eltern deutlich gemacht werden, dass Handwerksberufe keine Sackgasse sind. Aus diesem Grund zeigte Michaela Geya, Teamleiterin Berufsorientierung bei der Handwerkskammer Stuttgart, im Gespräch mit Eltern und Töchtern auf, welche Aufstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt.
„Viele wissen nicht, dass man mit dem Meister im Handwerk auch an einer Hochschule studieren und dort den Bachelor-Abschluss erreichen kann“, berichtete Geya. Für Schreiner würde sich beispielsweise ein Studium der Innenarchitektur eröffnen. „Im Grunde kann nach der Gesellenprüfung sofort mit der Meisterausbildung begonnen werden“, sagte Michaela Geya. „Natürlich ist es auch ratsam, vorher erst einige Jahre Berufserfahrung gesammelt zu haben.“
Darüber hinaus können sich Fachkräfte nach Abschluss der Berufsausbildung im Handwerk auch selbstständig machen, wie die gelernte Schreinermeisterin betont. Die Teamleiterin berichtete, dass sich Schüler auch beim azubi.tv im Internet im Rahmen von Videoclips über 130 Handwerksberufe informieren können. Zudem können sich Schüler über das Lehrstellenradar, einer App für das Handy, fortlaufend über mehr als 1 000 Lehrstellen informieren, die aktuell ausgeschrieben sind. Der Kirchheimer Aktionstag wurde vom Europäischen Sozialfonds und dem Landesjugendplan Baden-Württemberg bezuschusst.