Kirchheim. Noch eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn waren die wenigen Akteure klar in der Überzahl. Da es sich dabei nur um zwei Schauspieler und die sie beim Bühnenaufbau unterstützenden Techniker handelte, konnte das nicht un-bedingt ein gutes Zeichen sein. Unter dem Motto „Kirchheim holt die Stühle raus“ war schließlich auf dem publikumsmäßig fast unbegrenzt belastbaren Martinskirchplatz eine Veranstaltung unter freiem Himmel fest vereinbart.
Da es aus genau diesem freien Himmel aber am Freitagabend schon lange vor Beginn der vom Stadtmarketing und dem Kirchheimer Amt für Bildung, Kultur und Sport angebotenen Veranstaltung konsequent – aber erfreulicherweise nur dezent – heruntertröpfelte, hatte die vielversprechende Veranstaltung mit dem „Theater Roll-Splitt“ keinesfalls ideale Voraussetzungen. Das fest gebuchte Darsteller-Duo konnte dann aber doch zu gewohnter Form auflaufen.
Wetterresistent ohne Wenn und Aber, zum verbindlich vereinbarten Auftritt entschlossen, sorgten Daniel Leers und Dietmar Berron-Brena von Anfang an für klare Verhältnisse. „Fast Faust“ stand schließlich auf dem Programm, was dank der Doppeldeutigkeit des Titels auch eine spontane Absage durchaus legitimiert hätte. Das von dem österreichischen Dramaturgen Albert Falk frei nach Goethes „Faust – 1. Teil“ entwickelte Stück wurde dann aber mit atemberaubender Geschwindigkeit und rasenden Rollenwechseln tatsächlich eindrucksvoll schnell präsentiert, und trotz der angeblich plötzlich klaffenden Personallücke nicht etwa um die betroffenen Bühnenrollen gekürzt, sondern voll ausgespielt.
Angeblich mit drei Darstellern für den Auftritt auf dem Martinskirchplatz eingestellt, lamentierten die zwei verbliebenen Vertreter des Theaterensembles „Roll-Splitt“ auf der überraschend doch noch regenfreien Bühne nur noch nachhaltig darüber, dass sie von ihrer schwangeren Kollegin im Stich gelassen wurden, und jetzt auch noch das Gretchen und all die anderen von ihr abgedeckten Figuren darstellen müssen.
Ungemein wichtig wurde in diesem Zusammenhang die folgenreiche Entscheidung, wer denn nun die Titelrolle übernimmt und wer den Kontrahenten Mephisto spielt, weil sich das nicht uneingeschränkt mit den dann auch jeweils zu übernehmenden Frauenrollen kombinieren lässt.
Genau diese schwierige Entscheidung überließen die beiden souveränen Akteure aber ganz einfach dem Publikum, das natürlich nicht wissen konnte, welchem der beiden Darsteller sie damit wohl mehr Arbeit aufhalsen würde. Dietmar Berron-Brena und Daniel Leers kennen das von ihnen schon oft erfolgreich aufgeführte Zwei-Personen-Stück gleichermaßen gut und können sich daher tatsächlich dem Votum des staunenden Publikums beugen.
Vor dem mit unterschiedlichsten Sitzgelegenheiten bunt zusammengewürfelten Stuhlkreis einer zuletzt immerhin fast drei Dutzend Menschen zählenden verschworenen Gemeinschaft hasteten die beiden Darsteller in fliegendem Wechsel verschiedener Rollen durch das literarische Aushängeschild deutschen Bildungsbürgertums und den nie versiegenden Quell unsterblicher Zitate.
In ihrer unkonventionellen Speed-Variante nahmen die Darsteller in der Regie von Sophie Stierle dem Klassiker all seinen Schrecken. Zur Freude der mit breitkrempigen Hüten und Regenkapuzen auf alle Wechselfälle der Witterung vorbereiteten Zuschauerschar präsentierten die beiden Vollblut-Schauspieler tatsächlich „eine Liebeserklärung an das Theater mit seinen immer wieder faszinierenden, komplizierten menschlichen Beziehungen auf und hinter der Bühne“. Sie erfüllten zugleich auch ihr vollmundiges Versprechen, dass es „vielleicht einen Anfang, wahrscheinlich eine Pause und möglicherweise einen Schluss“ gibt – und der sorgte unter noch immer regenfreiem Himmel für viel Applaus für die so kurzweilige wie unkonventionelle Klassiker-Bearbeitung im Schnellspielgang.