Wiesensteig. Die Mehrzahl der Bürgervertreter in Wiesensteig ist nicht nur tief enttäuscht, sondern überzeugt davon, dass mit der Absage der Erlebnisakademie Bad Kötzting als dem Investor des Baumwipfelpfads nun auch das Helfensteinerstädtchen stirbt. Dies wurde in der letzten Gemeinderatssitzung, die äußerst emotional verlief, deutlich. Renate Rothfuß vom Reußensteiner Hof, die einzige Baumwipfelpfadkritikerin im Ratsrund, wurde von ihrem Kollegen Helmut Polloczek aufgefordert, ihr Mandat zurückzugeben, weil sie nicht das Wohl der Stadt im Auge habe. Den Gewerbe- und Fremdenverkehrsverein bezeichnete Polloczek als reinen „Baumwipfelpfadverhinderungsverein“ und empfahl ihm, sich aufzulösen. Mit dem Projekt seien auch 20 Arbeitsplätze, Gewerbesteuereinnahmen, die dringend zur Erhaltung und Finanzierung des Freibads, der Skilifte und des Bürgerschlosses gebraucht worden wären, zu Grabe getragen worden. Helmut Polloczek: „Mit ins Grab gingen Hoffnungen auf mehr Besucher, auf mehr Gäste, auf eine Wiederbelebung unserer sterbenden Stadt“.
Wie stark das Thema Baumwipfelpfad die Lager polarisiert und die Stadt spaltet, zeigte auch Polloczeks Aussage: „Nicht zugeschüttet werden auf lange Sicht die vielen Gräben im mitmenschlichen Bereich, die sich durch Freundschaften, Familien, Vereine, ja durch die ganze Stadt ziehen, und verschwinden wird auf lange Zeit nicht die atmosphärische Giftwolke, die über der Stadt schwebt.“ Renate Rothfuß wies die Vorwürfe vehement zurück. Sie habe sich für die Themen Verkehr, Naturschutz und Lebensqualität in Wiesensteig eingesetzt und werde deshalb auch weiterhin ihr Amt ausüben. Daraufhin rechneten die Stadträte Wolfgang Weidner und Sven Gajo mit dem Vorsitzenden des Wiesensteiger Gewerbe- und Fremdenverkehrsvereins, Andreas Pohl, ab. In diesem Verein hatten sich bekanntlich die Baumwipfelpfadgegner zusammengeschlossen und über ein Bürgerbegehren den Bürgerentscheid erreicht. Deshalb war der Gewerbeverein nicht nur Polloczek ein Dorn im Auge. So fanden Weidner und Gajo denn auch das berühmte Haar in der Suppe. Die Wipfelpfadgegner hatten in ihrem Flyer auf das Naturschutzzentrum Schopflocher Alb hingewiesen, das für viel Geld renoviert wurde. „Noch mehr Steuergeld soll in eine weitere Informationseinrichtung investiert werden, die nur vier Kilometer entfernt ist“, so die Kritik der Gegner. Gemeint war eine beim Baumwipfelpfad geplante Waldinformationseinrichtung. Nun wunderten sich die beiden Wiesensteiger Stadträte darüber, dass Andreas Pohl bei Forstdirektor Martin Geisel angeklopft hatte, um ihn zu fragen, ob sich der ForstBW einen Walderlebnispfad gemeinsam mit dem Gewerbe- und Fremdenverkehrsverein vorstellen könne.
Stadtrat Alfred Kisling schlug vor, den Gewerbe- und Fremdenverkehrsverein, der doch so „viele weitere Projekte“ seinen Aussagen zufolge in der Schublade habe, einzuladen, „damit er seine Visionen in öffentlicher Sitzung vorstellen kann. Ich bin darauf gespannt.“ Den Vorschlag von Renate Rothfuß, sich gemeinsam mit dem Tourismusausschuss zusammenzusetzen, um zu überlegen, „wie‘s weitergeht in Wiesensteig“, lehnte der Gemeinderat mehrheitlich ab. Wiesensteigs Bürgermeister Gebhard Tritschler appellierte an sein Ratsgremium, in Zukunft anständig miteinander umzugehen, „damit wir uns auch nachher noch mit gutem Gewissen in die Augen schauen können“.