Kabarett „Birn Out“ mit dem Ensemble Volksdampf in Lindorf
Grenzgebiete des Humors

Kirchheim. Ist ein Leben ohne Hirn möglich? Diese Frage stellte sich das Kabarett-Ensemble Volksdampf am Freitagabend im Bürgerhaus in Lindorf. Die Antwort lautet: Ja, es ist


möglich, ohne Hirn zu leben. Das wird uns täglich vorgeführt.

KuLi, nicht das herkömmliche Schreibgerät, sondern die Initiative „Kultur in Lindorf“, hatte das schwäbische Mundart-Kabarett Volksdampf aus Ravensburg ins Bürgerhaus nach Lindorf eingeladen. Das 1982 gegründete Musik-Kabarett hat sich bereits durch rund 1 000 Auftritte einen Namen gemacht und wurde mit vielen Auszeichnungen bedacht, unter anderem mit dem Kabarettpreis Baden-Württemberg. Das Ensemble sorgte mit seinem bissigen Satireprogramm für ein volles Haus und einen vergnüglichen Abend, wobei manchem das Lachen auch mal staubtrocken im Halse stecken blieb.

30 Jahre Bühnenerfahrung machen sich eben bezahlt, wenn es darum geht, sich selbst, die Gesellschaft und die Politik kritisch zu hinterfragen und auf die Schippe zu nehmen. Ist ein Scherz noch zumut­bar oder bereits eine Zumutung? Humor sei ein flüchtiges Reh, messbar am LPM, den Lachern pro Minute, erklärte das Trio Lisa Greiner, Suso Engelhardt und Reiner Muffler, die sich nach eigener Aussage als schauspielerische und musikalische Multidilettanten bezeichnen.

Allerdings brillierten sie am Freitagabend mit einem keineswegs dilettantischen Programm. Sie riefen bei ihrem Publikum herzliches Lachen hervor, um es dann in schockierenden Szenarien zu baden. Was die selbsterklärte Messlatte LPM betraf, so wusste das Publikum bald schon nicht mehr, ob es lachen oder, der zu schluckenden Kröten wegen, nicht doch besser würgen sollte.

Unter anderem wurden der Klimawandel, Mobbing am Arbeitsplatz, die demografische Schieflage und der politische Sparzwang kritisch unter die Lupe genommen.

Das geschätzte Durchschnittsalter des Publikums lag bei 50 plus, es war damit per se sensibilisiert für die Frage: Was machen wir mit unseren „Alten“? Organisierte Busunglücke, um den Überschuss an künftigen Rentenempfängern zu verkleinern, seien nicht effizient genug, dabei gäbe es zu wenig Tote. Vielleicht sei die Lösung, schlug das Trio vor, nach dem Vorbild der Wald-Kindergärten, Wald-Altersheime einzurichten? In dieser Idee läge ein ungeheures Sparpotenzial für die Politik: keine Kosten für Heizung, Wasser und Pflege. Das provozierte Gänsehaut beim Publikum. „Lachet Leut, wenn’s net zum Heule roicht!“, lautete der Refrain des Songs, der dann auch nicht wirklich fröhlich machte, obwohl die fetzige Begleitmusik mit Geige, Banjo, Gitarre und der zum Musikinstrument umfunktionierten 60-Liter-Mülltonne unter die Haut ging und die Beine zucken ließ.

Provokant wurden die Besucher in weitere „humortechnische Grenzgebiete“ entführt. Als Arzt und Krankenschwester verkleidet, versuchte man, den Kapitalismus zu retten. Der Rettungsschirm wird aufgespannt, mittels Geldpumpe wird Finanzkraft in den morbiden Körper gespritzt und der Kapitalismus für vier Monate ins künstliche Koma versetzt. Irreparable Schäden in die Vertrauenswürdigkeit seien zu verzeichnen, erklärte Volksdampf, und ihr trockener Kommentar dazu lautete: 1 000 Milliarden Euro seien bereits für den Rettungsschirm aufgewendet worden, „aber wenn man einem Hartz-IV-Kind nur einen Euro mehr geben soll, dann fängt das große Feilschen an.“ Für diese Szene erntete das Kabarett-Ensemble spontanen Applaus, es hatte den Finger erneut in die blutende Wunde gelegt. Die deutsche Gesellschaft sei „total Birn out“, hirnverbrannt, lautete das Volksdampf-Fazit und im Song hieß es: „Jeder will a Handy, und koiner will en Maschta, alle went kriaga, aber koiner will gäba.“