Kirchheim. Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ sind die heute wohl populärsten Tonschöpfungen des
venezianischen Meisters. Ihre in einer breiten Hörerschaft verankerte Rezeption dürfte aber immer noch maßgeblich von Einspielungen geprägt sein, die von den Errungenschaften der historischen Aufführungspraxis unberührt geblieben sind.
Egal ob man da an die satte Opulenz denken mag, die einst Anne-Sophie Mutter und Herbert von Karajan verströmten oder ob einem der forsche, juvenile Gestus eines Nigel Kennedy in den Sinn kommt – Virtuosität und ein für sich betrachtet klangschönes Resultat können nicht darüber hinwegtäuschen, dass solche Näherungen mit barocker Musikkultur nicht viel zu tun haben.
Um so deutlicher kann aber gerade an diesen vielgespielten Werken werden, welcher Gewinn das Bemühen um ein authentisches Klangbild, um einen historisch fundierten Umgang mit der barocken Affektenlehre und der damals in hoher Blüte stehenden Verzierungskunst für heutige Ohren darstellt.
Von solchen Qualitäten lebte die Darbietung des Ensembles „Concerto Imperiale“, das unter Leitung des Barockviolinisten und Musikwissenschaftlers Bernhard Moosbauer in der gut gefüllten Kapelle des Kirchheimer Schlosses die Jahreszeitenkonzerte zur Aufführung brachte.
Neben Moosbauer besteht „Concerto Imperiale“ im Kern aus Michael Brüssing (Violoncello) und Andreas Scheufler (Cembalo), zwei ebenfalls ausgewiesene Spezialisten im Bereich der Alten Musik. Projektbezogen erweitert sich die Besetzung stets aufs Neue. Diesmal gesellten sich Renate Harr (Violine), Rainer Ullreich (Viola und Violine) und Heike Hümmer (Violone) hinzu. Der prominente Part der Solovioline lag in Händen von Andreas Heiniger, der auf ein Studium der Barockvioline bei Rachel Podger in London zurückblicken kann und inzwischen als gefragter Dozent und Ensemblemusiker gleichermaßen hoch im Kurs steht.
Von jeglicher Saturiertheit befreit, entfaltete sich der Jahreszeitenzyklus in einem unprätentiösen wie vielschichtigen Klangbild, in dem vermeintlich Sprödes in grazile Bewegung gewandelt, dem ersten Anschein nach Herbes zu lyrischem Gehalt gehoben wurde. Die von den Künstlern gepflegte klangliche Transparenz erlaubte ein konturiertes Nachzeichnen der musikalischen Bilder in szenischer Prägnanz.
Immer deutlicher machte der Fortgang des Abends, dass sich die Interpreten Vivaldis Musik nicht nur von ihrem Detailreichtum, ihren jeweils wechselnden spieltechnischen Anforderungen her nähern, sondern ihren Blick auch unablässig auf die überspannende Architektur des Werkzyklus gerichtet hatten.
Wie Bernhard Moosbauer in seiner unlängst im Bärenreiter-Verlag erschienenen Monografie darlegt, komponierte Vivaldi in diesen vier Konzerten einen prozesshaften Spannungsbogen aus: Steht der Eröffnungssatz des „Primavera“-Konzerts als Vertreter des regelhaften kompositorischen Handwerks geradezu als Auftrittsbühne des Komponisten da, bringt der Finalsatz des Winterkonzerts vor allem die fantasiebetonte Erfindungskraft, die sogenannte „inventione“, zum Ausdruck.
Diese „Wanderung“ zwischen Antipoden, deren konzeptuelle Kraft sich hörbar in formale Kriterien des Zyklus niederschlägt, machte „Concerto Imperiale“ seinem Publikum auf eindrückliche Weise erlebbar. Sie bildete den einheitlich durchgehenden Zug, auf dem sich Vivaldis „deskriptive Musik“ episodisch entrollen konnte. So kommt das Herbstkonzert etwa mit dem musikalischen Abbild eines torkelnden Betrunkenen daher – in seiner Einfachheit genial eingefangen mittels eines sich in der Sphäre des „stilo fantastico“ harmonisch orientierungslos im Kreise drehenden Satzes.
Neben solch subtileren Finessen waren es fraglos die großen dramatischen Momente, die das Publikum in den Bann zogen. Der im Presto einbrechende Gewittersturm des Sommerkonzerts füllte den Konzertsaal mit elementar entfesselter Wucht und erwies sich zugleich als eines der Paradestücke für Soloviolinisten Andreas Heiniger, der sich auch hier nicht scheute, an seine Grenzen zu gehen.
Architektonische Meisterschaft verriet aber auch die Programmgestaltung als solche. Zwischen die „Jahreszeiten“ waren Sonaten von Johann Joseph Fux platziert. Im Sinne von „Zwischenmusiken“, wie Moosbauer im Programmheft erläuterte, fungierten sie als Bindeglieder, Vor- und Rückschau zwischen den einzelnen Solokonzerten Vivaldis. Charmant und spritzig, intelligent wie elegant wuchsen die Fuxschen Werke jedoch sogleich über ihre dienende Rolle hinaus, entpuppten sich als spannendes Neuland, das den „Jahreszeiten“ auf Augenhöhe begegnen konnte.