Kirchheim. Stadtrat Andreas Kenner ist als kenntnisreicher Hobby-Historiker firm in Landesgeschichte und stets um deren Weitergabe
Irene Strifler
bemüht. Als langjährigem Genossen mag ihm der Freiheitskampf der 1848er-Revolution besonders ans Herz gehen. Als Kirchheimer durch und durch ist er nicht nur stolz darauf, dass die damalige Oberamtsstadt mit Friedrich Tritschler einen prominenten Vorkämpfer für Recht und Freiheit hatte. Geradezu stolz wie Oskar ist Kenner aber neuerdings darauf, dass es seine Heimatstadt eben wegen jenem Seifensieder Tritschler zu einem vierseitigen Artikel im aktuellen Spiegel-Spezialheft „Die Revolution von 1848/49“ gebracht hat.
„Das gibt‘s wirklich nicht alle Tage“, ergriff Kenner in der jüngsten Ratssitzung das Wort. „Unsere Geschichte, das sind nicht nur Herzöge“, mahnte er, sich auch revolutionärem Gedankengut aufgeschlossen zu nähern. Jenen 1 500 Menschen, die sich vor 170 Jahren im Kirchheimer Freihof versammelt hatten, um gegen Tyrannei anzukämpfen, sollte man endlich ein Denkmal setzen. Friedrich Tritschler habe sein Leben dem Kampf für die Freiheit gewidmet – und heute sei keine einzige Straße nach ihm benannt, knüpfte er an den Spiegel-Artikel an, der aus der Feder des Kirchheimers Joachim Mohr stammt. Er hatte den hiesigen Historiker Dr. Eberhard Sieber zitiert mit der bedauernden Feststellung, „nicht einmal ein Feldweg“ trage Tritschlers Namen.
Das könnte sich bald ändern. Kenner kündigte an, alsbald einen Antrag zu stellen, der eine angemessene Würdigung Tritschlers in Kirchheim zum Ziel haben werde.
Auf Widerstand dürfte solch ein Ansinnen kaum stoßen. Zum einen ist es nicht das erste Mal, dass ein derartiges Vorhaben im Ratsrund angesprochen wird. Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker verriet sogar spontan, dass ihr Kenners Ankündigung zu einem Wettgewinn verholfen habe, habe sie doch genau damit gerechnet. Im Jahr 2009 war beispielsweise aus den Reihen der SPD angeregt worden, den Platz vor dem Vogthaus nach Tritschler zu benennen. Doch der schmucke Winkel vor Kirchheims erster Lokalbrauerei firmiert heute halboffiziell gemäß dem Wunsch des Bräus als „Platz der kleine Freiheit“.
Dennoch scheint jetzt die Zeit reif für den Schritt, Kirchheims berühmten Seifensieder zum Namenspatron einer Straße zu machen oder ihn zumindest anderweitig zu ehren. Andreas Kenner erhielt jedenfalls spontan Rückendeckung von christdemokratischer Seite, wenn auch verknüpft mit einem kleinen Seitenhieb auf die Diskussionskultur im Ratsrund: Die 48er-Revolution sei letztlich auch deshalb gescheitert, weil sich die Revolutionäre in langen, ergebnislosen Debatten erschöpften und so den reaktionären Kräften das Erstarken erleichterten, argumentierte Dr. Thilo Rose, Fraktionsvorsitzender der CDU. Er stellte für Kenners Antrag vorab Unterstützung in Aussicht, in der Hoffnung, „dass wir unsere Debatten künftig zielgerichteter führen“.
Eine große Koalition also für Seifensieder Tritschler? – Zumindest der Rebell selbst, verstorben im Jahr 1859 in Amerika, dürfte die Welt nicht mehr verstehen. Schließlich war er nach dem Scheitern der Revolution enttäuscht geflohen und urteilte nach seiner Auswanderung ausgesprochen negativ über seine schwäbischen Landsleute. Eberhard Sieber hat dafür, dass der kämpferische Geist hierzulande in Vergessenheit geraten ist, im „Spiegel“ eine mögliche Erklärung genannt: „Ein Mann wie Tritschler hat die öffentliche Ordnung gestört, und das ist auch heute noch nicht beliebt.“