Owen. Ob freudiges Halleluja oder tiefste Verzweiflung – in den Psalmen ist beides zu finden. 150 dieser rund 3 000 Jahre alten Lieder und Gebete zählt die Bibel. Beim Konzert
mit dem Ensemble „Entzücklika“ in der evangelischen Marienkirche in Owen erwies sich Psalm 139 als abendfüllend und therapeutisch.
W
enn er mit ansehen muss, wie andere Menschen Unrecht tun und dabei Gottes Namen missbrauchen, wird der Beter richtig wütend. Das Verhalten blutgieriger Menschen bewirkt in ihm glühenden Hass. Doch der Beter bleibt zum Glück nicht dabei stehen. „Ich denke auf krummen Touren, darum Gott, schau du nach mir“, bittet er inständig – jedenfalls in der modernen Übertragung, mit der der Liedermacher Alexander Bayer in die Gedankenwelt von Psalm 139 einführte. Der Beter weiß, dass seine Bitte eine gute Grundlage hat: „Gott, kümmere dich um mich, du hast das schon seit der ersten Sekunde meines Lebens getan.“
„Ich werde nicht zugrunde gehen“ erklang es wieder und wieder durch die Marienkirche, wenn das vierköpfige Ensemble mit den rund 70 Zuhörern den hoffnungsvollen Kehrvers des Konzertes sang. In wohltuend ruhigen Tönen drehten sich die Texte der Abendlieder um Hoffnung, um die Sehnsucht nach Heilwerden, aber auch um die lebensfeindlichen Umstände, die einen Menschen vernichten wollen und den Atem rauben. Was ihm auch auf Erden widerfahren mag, in den Augen Gottes ist jeder Mensch unendlich kostbar und wird von ihm liebevoll betrachtet: „Ich weiß noch nicht, was ich in der nächsten Minute gesagt haben werde“, betet der Psalmdichter in Bayers Übertragung, „da hast du, Gott, schon geschmunzelt.“
Zum Schmunzeln war auch Gerhard Schönes Morgenlied „Die güldene Sonne“, das sich zur Abwechslung unter die Abendlieder mischen durfte und unter anderem die Freuden des Frühstücks – mit Kaffeeduft und Apfelgelee – beschrieb.
„Entzücklika“ passt in keine Schublade. Ansässig im katholischen Kloster Obermarchtal, spricht die Spiritualität des Ensembles ein evangelisches Umfeld genauso an. Musikalisch klangen in Owen irische Einflüsse hindurch, bei anderen Auftritten des Ensembles darf es auch mal Jazz sein. Rund um das Kernteam mit Bayer, der Sopran-Solistin Maria Sailer und Katja Imsel (Alt und Flöten) reihen sich in wechselnden Formationen Gastmusiker. In Owen machte der Gitarrist Ulrich Weber das Ensemble zum Quartett. Der Tiefgang der Texte kommt nicht von ungefähr, Bayer ist Diplom-Theologe. Maria Sailer hat die gleiche Ausbildung, hält außerdem Seminare zu Lebensbewältigung, Alltagsspiritualität und zu Konfliktlösungen. Einige Instrumentalstücke, Piano solo ebenso wie Piano und Flöte, gaben Zeit und Ruhe zum Nachdenken. Auch Heiterkeit hatte ihren Platz. Wie klein die Flöte wohl noch werden kann, fragten sich die Zuhörer, als Katja Imsel während eines fröhlichen Stücks für Piano und Flöte ständig zu noch kleineren Exemplaren wechselte. Gesanglich war „Entzücklika“ überzeugend, das Ensemble harmonierte sehr gut und entspannt. Dass es die Kirche auch ohne Mikrofon füllen kann, zeigte sich beim Einzug.
Zum Konzert eingeladen hatten die evangelische Kirchengemeinde Owen, der Bezirksarbeitskreis Frauen Kirchheim und der Ökumenische Arbeitskreis Owen, Lenninger Tal und Erkenbrechtsweiler. Nach eineinhalb Stunden durften die Zuhörer, um die therapeutische Botschaft von Psalm 139 nicht zu vergessen, ihr Liedblatt mitnehmen. Den „großen Gesang von der Hoffnung, der auch das Scheitern kennt“ hatte Bayer versprochen. Dieser Gesang, das zeigte das Konzert, passt in manch kleines Lied.