Der Zirkus Charles Knie baut ein kleines Dorf in Kirchheim auf
Heimat auf Rädern
Der Zirkus Charles Knie gastiert ab heute bis Donnerstag auf dem Kirchheimer Ziegelwasen. Danach zieht der Großzirkus mit 92 Mitarbeitern und 103 Tieren weiter. Das bedeutet organisatorische Präzisionsarbeit.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
Kirchheim. Auf dem hinteren Teil des Ziegelwasens fühlt man sich wie in Afrika. Tiger liegen schläfrig neben Löwen, die sich spielerisch durch die Käfige jagen. Zebras leben mit Lamas in einem Auslauf, und neben den afrikanischen Rindern erkunden eine Herde südamerikanischer Laufvögel, die Nandus, und einige Lamas neugierig das Gehege. Außerdem sind da noch die Pferde, die in ihren Ställen Heu malmen, zwei Hängebauschschweine, die genüsslich den Boden zerwühlen, und die Seehunde, die mal auf dem Bauch, mal auf dem Rücken schwimmen und vorwitzig über die Abzäunungen spähen.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
"Die Tiere könnten ausreißen, aber sie wissen eben, dass sie es hier gut haben“, erklärt Sascha Grodotzki, Pressesprecher des Zirkus. Eine Kameldame scheint dasselbe zu denken: Als ihre Herde in das Kamelgehege geführt wird, rennt sie weg, überlegt es sich aber nach wenigen Schritten anders und kehrt eilig und mit wippenden Höckern zu ihren Artgenossen zurück. Der Raubtierlehrer Alexander Lacey geht mit einem Leopardenjungen Gassi wie andere mit ihrem Hund. Das Kleine läuft aufgeweckt herum, genießt den Auslauf und gehorcht besser als so mancher Hund.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
Während die vierbeinigen Bewohner ihre neue Umgebung erkunden, müssen die Menschen arbeiten. Auf dem vorderen Teil des Ziegelwasens sind unzählige Wohnwagen und Lkw abgestellt. Das Auffälligste ist das riesige rot-weiße Zirkuszelt. Es scheint zwar noch eher zu liegen als zu stehen, aber mit der Hilfe vieler Menschen, die kreuz und quer geschäftig über den Platz wuseln, ist es überraschend schnell aufgebaut. Die rund fünf Tonnen schwere Zeltplane muss gespannt werden, zur Befestigung treibt das Auf- und Abbauteam Pflöcke über einen Meter weit in den Boden.
Allerdings gilt es nicht nur, das große Zelt aufzubauen. Die Zirkusmitarbeiter benötigen Strom- und Wasseranschlüsse, sie müssen die Werbung verteilen und die Fahrer transportieren alle Requisiten und Stallungen von Heilbronn bis zum Ziegelwasen. Bis zu vier Mal fahren die großen Lkw hin und her, und das bei Entfernungen von bis zu 200 Kilometern. Ein Zirkus ist ein Betrieb wie jeder andere, nur eben auf Rädern.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
„Das erste, was aufgebaut wird, sind immer die Tiergehege und -stallungen“, sagt Sascha Grodotzki. Die Tiere sollen sich schnell mit ihrer neuen Umgebung vertraut machen. 50 Männer stehen allein für den Auf- und Abbau bereit. „Sie sind ein eingespieltes Team“, sagt der Pressesprecher. Trotzdem müssen alle zusammenhelfen. Auch wenn es mitten in der Nacht stürmt, hilft jeder mit, die Tiere zu beruhigen oder das Zelt immer wieder festzuzurren.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
„Wir sind wie ein kleines Dorf.“ Diesen Satz hört man immer wieder. Jeder kennt jeden, und alle sind auf eine ganz besondere Weise miteinander verbunden: „Das ist wie ein Virus. Wenn man einmal infiziert ist, kann man keine Ruhe mehr geben.“ So beschreibt der Pressesprecher, was sie alle trotz des anstrengenden und entbehrungsreichen Lebens auf Reisen beim Zirkus bleiben lässt. Diese „Zirkussucht“ macht auch vor Kranken und Verletzten nicht halt: Sogar ein Artist, der seit einem Berufsunfall im Rollstuhl sitzt, kann es nicht lassen und reist weiterhin mit dem Zirkus Charles Knie. Auch Feste feiern alle „Dorfbewohner“ gemeinsam. Beispielsweise wird an Weihnachten ein großer Tannenbaum in der Manege aufgestellt, und im Oktober feiern die Zirkusmitarbeiter eine Taufe. Dazu reist ein Zirkusseelsorger an. Der Altar wird in der Manege aufgebaut.
Heimat auf Rädern
Nach einigen Stunden treffen auch die 31 Artisten in Kostümen am Ort des Geschehens ein. Multikulti-Sprachenmischmasch und viel Gelächter erfüllt das halb aufgebaute Zelt. Weil auf dem Ziegelwasen zu wenig Platz ist, wohnen die Artisten in ihren Wohnwagen auf dem Schulhof des Schlossgymnasiums. Wegen des Platzmangels musste der Zirkus auf zwei der drei Zirkuszelte verzichten. „Wir haben diesmal kein Vorzelt, und außerdem wird es Open-Air-Gastronomie geben“, meint Sascha Grodotzki grinsend. Das Programm wird jedoch ganz gezeigt, denn das ist das Wichtigste an einem Zirkus. Heute und morgen finden um 16 und um 20 Uhr Vorstellungen statt, am Donnerstag, 8. September, nur um 16 Uhr. Schließlich muss der Zirkus zwei Tage später in Ulm auftreten – deshalb beginnen die Abbauarbeiten schon während der Vorstellungen.
Zirkus Charles Knie auf Ziegelwasen ber Zeltaufbau
„Im Zirkus muss man allzeit bereit sein. Aber das nehme ich gerne in Kauf. Wer hat schon beruflich die Möglichkeit, eine Lama-Geburt mitzuerleben? Zirkus ist kein Job, es ist eine Lebensart“, findet Sascha Grodotzki.