Für die vielfältigen Herausforderungen des demografischen Wandels für die moderne Gesellschaft, kann es keine einfachen und allgemeingültigen Patentlösungen geben. Wichtig ist es daher, frühzeitig zu erkennen, dass alle Mitglieder der Gesellschaft gefordert sind, kreative Antworten zu finden.
Kirchheim. „Mensch – Ethik – Recht: Ethische Grundlagen bei der Versorgung älterer Menschen“, lautete das Thema eines vom Teckboten und der Kreissparkasse Esslingen-Nürtingen veranstalteten Podiumsgesprächs, das angesichts der Komplexität des vorgegebenen Spektrums gar nicht den Anspruch hatte, konkrete Ergebnisse zu liefern. Vielmehr galt es, Denkanstöße zu geben und für ein Thema zu sensibilisieren, das in seiner Brisanz oft unterschätzt oder aber zu spät erkannt wird.
Verleger Ulrich Gottlieb freute sich, dass so viele interessierte Besucher in das Foyer der Kreissparkasse gekommen waren, um sich mit den Folgen des dramatischen demografischen Wandels zu beschäftigen. Er betonte, dass mit der Versorgung älterer Menschen auch vielfältige ethische Fragen verbunden sind und fragte, inwieweit der Generationenvertrag unter sich verändernden Bedingungen noch Gültigkeit habe.
Wie beim Thema Patientenverfügung war es den Veranstaltern erneut gelungen, Dr. Ernst Bühler als Moderator zu gewinnen. Der Arzt für Innere Medizin und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Esslinger Initiative Versorgen – Selbst bestimmen“ verstand es sehr gut, gemeinsam mit einem kompetent besetzten Podium unterschiedliche Facetten des komplexen Themas bewusst zu machen.
Dr. Michael Grebner, Leitender Oberarzt der Gerontopsychiatrischen Klinik Christophsbad in Göppingen, zeigte in seinem Impulsreferat auf, wie schwierig ethisch richtiges Handeln vor allem im Blick auf Menschen ist, die nicht mehr selbst bestimmen können. Besonders wichtig ist ihm, dass nicht nur das Wohl eines Patienten beachtet wird, sondern zugleich auch sein Wille zu respektieren sei. Wie schwer das gerade bei demenziell erkrankten Menschen ist, in deren Gedankenwelt sich selbst engste Vertraute nur schwer „hineinfühlen“ können, wurde deutlich gemacht.
Im Blick auf die Fortschritte der Medizin und die Problematik, dass Machbares nicht immer „im Abgleich mit den Betroffenen“ geschieht, appellierte er an alle Besucher, nicht lzu warten, sondern sich rasch mit dem Thema Patientenverfügung auseinanderzusetzen. Da diese Verfügung bindend ist, stelle sie die einzige und letzte Möglichkeit dar, bei klarem Verstand selbst über die eigene Lebens- und Sterbequalität zu entscheiden und in dieser existenziellen Frage nicht fremdbestimmt zu werden.
Am Beispiel der lebensverlängernden PEG-Sonde zeigte er auf, dass Fortschritt nicht nur Segen, sondern auch Fluch bedeuten kann. Für die gefühlte Lebenswahrheit eines depressiven Patienten könne es ganz andere Wahrnehmungen und Entscheidungen geben wie etwa für einen demenzkranken Menschen.
„Wir müssen lernen, Patienten immer als gleichberechtigte Partner anzusehen und nicht als Abhängige“, lautet seine feste Überzeugung, damit auf dem richtigen Weg zu sein.
Dr. med. Martin Runge, Ärztlicher Direktor der Aerpha-Klinik Esslingen-Kennenburg, überraschte mit der „Quizfrage“, was alte Menschen am dringendsten brauchen und lieferte die Antwort „Töchter“ gleich mit. Das dieses „Ideal“ familiärer Zusammengehörigkeit in Zeiten von Patchwork-Familien und vielen Alleinstehender schon jetzt etwas überholt ist, wurde deutlich.
Er setzt stark auf Prävention und ist abüberzeugt, dass neben Geld zunehmend auch Menschen fehlen werden, die die Aufgabe des Pflegens übernehmen können. Außerdem werde wertvolle Zeit oft mit Bürokratie geradezu verschwendet.
Dieter Kress, Geschäftsführer der AOK Neckar-Fils, fragte sich, inwieweit überhaupt Bereitschaft besteht, den Generationenvertrag einzulösen. Um ältere Menschen so lange wie irgend möglich im vertrauten Umfeld pflegen zu können, hält er es für ungemein wichtig, eine gute Versorgung durch den Hausarzt sicherzustellen. Grundsätzlich hält er das umlagefinanzierte Versicherungssystem aber für zukunftsfähig, rät aber, gegebenenfalls auch an Zusatzversicherungen zu denken. Er räumte ein, dass Geld „nicht immer optimal verteilt“ werde und redete einer verstärkten Regionalität das Wort, da aus dem gemeinsamen Wissen um individuelle Lebenssituationen heraus oft unbürokratische und damit bessere und schneller greifende Lösungen gefunden werden könnten.
Dr. Ruth Hoh, Geschäftsbereichsleiterin Personal der Kreiskliniken Esslingen GmbH, bestätigte, dass Pflege leider noch immer ganz selbstverständlich größtenteils von Frauen geleistet werde. Das gelte für Töchter, die möglicherweise einen Karriereknick in Kauf nehmen, um sich neben den Kindern auch um Eltern oder Schwiegereltern zu kümmern – und sich damit sehenden Auges der Gefahr drohender Altersarmut aussetzen. Dieses Schicksal droht aber auch vielen in der Altenpflege berufstätiger Frauen, die nie eine auch nur ansatzweise der Bedeutung ihrer Tätigkeit entsprechende finanzielle Anerkennung und Wertschätzung erfahren.
Dass engagierte Ärzte und Pflegende oft an dem hohen Anspruch zerbrechen, denen sie sich selbst stellen, unter den aktuellen Bedingungen aber gar nicht erfüllen können, erstaunt sie dabei nicht. Wer eines Tages nicht von Robotern gepflegt werden wolle, müsse dringend Sorge tragen, Pflegeberufe nicht nur attraktiver zu machen, sondern auch bei der Wertschätzung und gesellschaftlichen Akzeptanz deutlich zuzulegen, lautete ihre dringende Forderung.
Für den gastgebenden Regionalbezirksleiter Dietmar Ederle stand am Ende der Erkenntnisse mehrenden Veranstaltung fest, dass die großen Herausforderungen des demografischen Wandels tatsächlich nicht alleine „durch starke Töchter und Söhne“ bewältigt werden können, sondern alle Mitglieder der Gesellschaft gefordert sind, sich aktiv und engagiert stärker einzubringen.