Rathäuser in Kirchheim und Lenningen sind in Narrenhand
Hexa und Deifel legen los

Am „Schmutzigen Donnerstag“ haben die Narren in Kirchheim und Lenningen wieder die Macht über die Rathäuser an sich gerissen und die Schultes von ihren Sesseln gestoßen.

Kirchheim/Lenningen. Es ist 17.17 Uhr. Vor dem Rathaus spielen die „Blechschlüpfer“ aus Uhingen Guggenmusik. Dann ertönt im Flur des Kirchheimer Rathauses wildes Geschrei und Schellengeläut. Zwei riesige Klosterdeifel stürmen die Treppen hinauf. Sie hämmern an die Tür der Oberbürgermeisterin und fordern sie auf, herauszukommen. „Pizzaservice“, ruft einer. Doch Angelika Matt-Heidecker, die sich in diesem Jahr als VfB-Fan verkleidet hat, denkt überhaupt nicht dran, die Tür zu öffnen. Es dauert ein paar Minuten, bis die Deifel das Schild, das an der Tür prangt, entdeckt haben. „Zugang nur für Personal“, steht da. „Für alle anderen Besucher ist der Schlüssel im Keller“. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

Die Kirchheimer Rathausmitarbeiter haben sich in diesem Jahr etwas Besonderes für die Narren einfallen lassen: eine Schnitzeljagd. Der Schlüssel zum Dienstzimmer ist in der Garderobe versteckt. Allerdings ist er offenbar so gut versteckt, dass die Deifel ihn nicht finden. Nach fünf Minuten kommt die Oberbürgermeis­terin freiwillig heraus und setzt sich auf die Treppe. Sie schwenkt die VfB-Fahne und harrt ihres Schicksals.

Nach ein paar Minuten sind die Klosterdeifel zurück. Sie fesseln die Oberbürgermeisterin und bringen sie vor das Narrengericht. „Meine Deifel haben dein Rathaus leergefegt“, ruft Zeremonienmeister Jörg Schlüpf, der auch in diesem Jahr milde mit Angelika Matt-Heidecker ins Gericht geht. „Bei einer guten Oberbürgermeisterin ist es schwierig, etwas zu finden.“ Aus den Fenstern des Rathauses regnet es Zeitungspapier. „Das ist, weil deine Mitarbeiter den ganzen Tag nur Zeitung lesen.“ Dann hält Jörg Schlüpf „der Geli“ ihre Verfehlungen vor: zu wenig Sitzgelegenheiten für Ältere in der Fußgängerzone, überflüssige Griffe für Radfahrer an den Ampeln und zu wenig Grün in der neuen Fußgängerzone. Angelika Matt-Heidecker verspricht, dass die untere Max-Eyth-Straße bald mit Kübeln begrünt wird.

Die Lenninger Hexa haben ihren Herrschaftsbereich wieder fest im Griff. Schon am Morgen machten sie Unter- und Oberlenningen auf ihre süße und charmante Art unsicher. Kaum ein Geschäft blieb von ihrem Besuch verschont und überall wurden sie bewirtet und willkommen geheißen.

Nachmittags liefen die gutgelaunten Hexa dann zur Hochform auf. An der katholischen Kirche in Oberlenningen sammelten sie sich gemeinsam mit vielen verkleideten Kindern, um von dort Richtung Marktplatz zu ziehen. Kleine Marienkäferchen trippelten aufgeregt neben mutigen Rittern die Straße entlang, und die echten Polizisten, die dem Faschingsumzug den nötigen Geleitschutz gaben, wunderten sich nicht schlecht über ihre zahlreichen, sehr jungen Kollegen. Bonbons und andere Leckereien flogen durch die Luft, begierig von den Kindern aufgefangen und meist prompt verspeist. Doch für die Süßigkeiten musste gelitten werden. „Ich hab‘ von ihrer Kollegin eine lilane Nase gekriegt“, beschwerte sich ein Blondschopf vorwurfsvoll bei der nächsten Hexe.

Wie es sich für echte Guggenmusiker gehört, hauten die Romdreiber aus Rechberghausen ordentlich auf die Pauken, dass der Marktplatz nur so bebte. Doch nicht nur die Gugga unterstützten die Lenninger Hexa, auch die Schurwaldtrolle, die Plochinger Waldhornhexa und die Hexenmeister aus Esslingen gaben sich am Fuße der Alb die Ehre.

Dieser närrischen Macht konnte Lenningens Bürgermeister Michael Schlecht nichts entgegensetzen. Zum fünften Geburtstag der Lenninger Hexa machte er sich selbst zum Geschenk für die fröhlichen Damen. In ein weißes Etwas gehüllt und einen Geschenkkarton auf dem Kopf - der korrespondierte prima mit den vielen bunten Päckchen auf den Rathaussimsen - hielt er eine launige Rede und teilte seinerseits gut aus. „Oma oder Papa freuen sich ja am meisten über Selbstgemachtes, deshalb gibt es von mir ein Gedicht zum Geburtstag“, so Michael Schlecht augenzwinkernd. Zwar hätte er durch die Hintertür all dem Trubel entgehen können, doch ein schwäbischer Schultes stellt sich mutig jeder Situation. Er sprach von „Zack, zack DSL“, dem eigenen Stromnetz und der gesplitteten Abwassergebühr. Außerdem wünscht er sich mehr Kinder in der Gemeinde, denn dann wird alles billiger, weil sich die fixen Kosten auf mehr Köpfe verteilen lassen.

Die harte Realität hatte gestern jedoch keine Chance. Die Lenninger waren in Feierlaune und so wurde auf dem toll dekorierten Marktplatz gesungen, getanzt und einfach Party gemacht.