Die Islamische Gemeinschaft Kirchheim-Lenningen ist für den Ehrenamtspreis nominiert
Hier eine neue Heimat gefunden

Ihre Kultur und Traditionen leben, aber auch an den Gepflogenheiten der Region teilhaben: Das ist das Anliegen der Islamischen Gemeinschaft Kirchheim-Lenningen. Der Verein ist für den Ehrenamtspreis nominiert.

Dettingen. Seit 21 Jahren gibt es die Islamische Gemeinschaft Kirchheim-Lenningen mit Sitz in Dettingen. Während der Verein mit seinen heute etwa 200 Mitgliedern in den ersten Jahren seines Bestehens in einem Gebäude an der Straße „In der Stelle“ untergebracht war, befinden sich seine Räumlichkeiten seit Ende 2006 an der Kirchheimer Straße 50 – sie liegen also zentraler im Ort, wie der Vorsitzende Enes Seferovic betont.

„Früher waren wir in Dettingen fast unbekannt“, erzählt er. Die Räume seien etwas versteckt gewesen; doch das habe sich glücklicherweise geändert. Den Mitgliedern ist diese Offenheit wichtig, denn sie möchten ein Teil der Gemeinde sein und zu einem besseren Zusammenleben und Verständnis beitragen.

Die meisten Mitglieder des Vereins kommen – genauso wie Enes Seferovic – ursprünglich aus Bosnien. Die anderen stammen aus der Region Sandzak in Serbien, aus Montenegro und Mazedonien. Mittlerweile sind sie im Kreis Esslingen zu Hause; sie leben vor allem in Kirchheim und Lenningen. Dass Dettingen als Vereinssitz gewählt wurde, lag an der guten Lage der Schlossberggemeinde zwischen Teckstadt und Lenninger Tal.

1993 wurde der Verein gegründet, weil es damals auch in der Teckregion zahlreiche Kriegsflüchtlinge aus Bosnien gab. Ein bosnischer Verein in Stuttgart sei „einfach zu weit weg“ gewesen, erzählt der Vorsitzende. Deshalb die eigene Vereinsgründung. So konnten die Menschen aus Bosnien hier ein Stück Heimat finden, ihre Landsleute, die es ebenfalls in die Region verschlagen hat, kennenlernen, sich mit ihnen austauschen, aber auch in dem eigens eingerichteten Gebetsraum Ruhe finden.

Der Verein versteht sich nicht nur als Glaubens-, sondern auch als kulturelle Gemeinschaft, betont Enes Seferovic. Die Mitglieder möchten einerseits an den Traditionen und Festen der Region teilhaben und auf der anderen Seite den Menschen hier ihre eigenen Gepflogenheiten näherbringen, ergänzt er. So beteiligen sie sich beispielsweise regelmäßig am Dettinger Straßenfest und am Haft- ond Hokafeschd in Kirchheim. Dort bieten die Frauen und Männer ihre typischen Spezialitäten wie zum Beispiel bosnische Cevapcici an. Der Verein lädt außerdem zu öffentlichen Konzerten seines Kinderchors ein. Jedes Jahr am 3. Oktober haben da­rüber hinaus alle Interessierten die Möglichkeit, bei einem Tag der offenen Tür die Vereinsräumlichkeiten mit dem Gebets- und Versammlungsraum sowie einer kleinen Küche und einem Büro zu begutachten; und bei einem großen Fest anlässlich des 20-jährigen Bestehens mit etwa 400 Gästen im vergangenen Jahr waren ebenfalls nicht nur Mitglieder, sondern auch ausdrücklich die Einheimischen der Region eingeladen – so auch Mitglieder der evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Dettingen.

Der Islamischen Gemeinschaft ist es aber auch ein Anliegen, Bedürftige, Kranke und ihre Landsleute durch regelmäßige Spenden zu unterstützen – zum Beispiel krebskranke Kinder in Deutschland oder Bosnier, von denen viele seit dem Krieg noch immer in Armut leben müssen. Jedes Jahr bringen die Vereinsmitglieder einen Betrag zwischen 10 000 und 15 000 Euro auf. „Wir haben in den Vereinsräumen eine Box aufgestellt“, erzählt Enes Seferovic. Das Spenden geschehe auf freiwilliger Basis, betont er. Im Mai dieses Jahres gingen 10 000 Euro an eine Hilfsorganisation, welche die von dem heftigen Hochwasser gebeutelten Menschen in Bosnien unterstützte. Außerdem sammelten die Mitglieder der Islamischen Gemeinschaft Kleidung und Hygieneartikel. „Auch Deutsche haben sich bei uns gemeldet und für die Menschen in Bosnien gespendet“, freut sich der Vorsitzende noch immer über diese Geste.

„Wir Bosnier sind Europäer, zwischen der deutschen und der bosnischen Kultur gibt es nicht so viele Unterschiede“, betont der 43-Jährige, der vor 25 Jahren kurz vor dem Krieg nach Deutschland reiste. Eigentlich hätte es nur ein Urlaub sein sollen. Doch dann kam der Krieg, und für den jungen Bosnier und seine Familie sollte von diesem Zeitpunkt an Deutschland die Heimat bleiben. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Oberlenningen – und fühlt sich dort rundum wohl.

Wichtig für ihn und seine Familie, aber auch für viele weitere Mitglieder des Vereins ist das Gebet in den Räumen in Dettingen. Der Verein hat hierfür eigens den Imam Paso Fetic aus Kirchheim angestellt, der Mufti der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken in Deutschland ist. Der 48-Jährige gibt außerdem den Kindern der Vereinsmitglieder Islamunterricht.

Darüber hinaus verfügt der Verein über einen Frauentreff und eine Sportgruppe, die regelmäßig zum Fußballspielen in Dettingen zusammenkommt. Die „Liebe zum Fußball“, wie der Vorsitzende mit einem Strahlen sagt, führte 2009 dazu, dass die Mitglieder bei der Erneuerung des Kunstrasenfelds der Schlossberggemeinde halfen, als dieses nicht mehr bespielbar war: Sie spendeten 1 500 Euro und brachten sich mit zahlreichen Arbeitsstunden ein.

Beteiligt ist die Islamische Gemeinschaft – neben der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde – auch an einem Seelsorge-Projekt: Dabei wird den von Entlassungen bei der Papierfabrik Scheufelen in Oberlenningen betroffenen Arbeitnehmern ein offenes Ohr für ihre Probleme und Sorgen geschenkt. In der Papierfabrik seien viele Bosnier beschäftigt, verdeutlicht Enes Seferovic. Auch deshalb sei es für ihn und die anderen Vereinsmitglieder selbstverständlich, zu helfen und den Menschen zur Seite zu stehen.