Kreis Esslingen. In Deutschland leben nach Schätzungen von Selbsthilfeorganisationen rund 2,5 Millionen Messies. Im Landkreis Esslingen geht man jährlich von 30 Betroffenen aus. Bereits kleine Alltagsaufgaben können sie überfordern. Nicht selten spielen bei Menschen, die in vermüllten Wohnungen leben, auch Alkohol, Drogen, Krankheiten, Arbeitslosigkeit oder Schulden eine Rolle. Fachleute unterscheiden zwischen denen, die aktiv Gegenstände sammeln („Vermüllungssyndrom“) und denjenigen, die sich nicht dazu entschließen können, angesammelte Dinge zu entsorgen („Messie-Syndrom“).
„In der Regel fallen Messies erst auf, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagte Landrats-Vize Matthias Berg im Sozialausschuss des Kreistags. Dem Landkreis sei es zu wenig, nur zu reagieren. Deshalb soll nach dem Vorbild eines in Ludwigsburg und Stuttgart erprobten Konzepts mit einem Fachdienst frühzeitige Hilfe angeboten werden. Schon 2010 habe man sich im Kreis Esslingen mit dem Thema befasst. Handlungsleitend waren dabei die Aspekte Prävention, Niederschwelligkeit und Vernetzung der Hilfen.
Dass die Betroffenen bislang oft nur unzureichend oder erst sehr spät von den Hilfsangeboten erreicht werden, liegt insbesondere daran, dass sie aus Scham niemanden in ihre Wohnung lassen und Unterstützung ablehnen. Soziale Dienste erfahren von Nachbarn oder Angehörigen, Polizei oder Ordnungsamt beziehungsweise durch Räumungsklagen meist nur von Extremfällen, wenn bereits Schimmel, Gerüche und Ungeziefer auftreten. Ordnungsämter und Soziale Dienste der Kommunen waren es auch, die nach einem Fachdienst gerufen haben. Denn um bei Menschen mit Messie-Syndrom nachhaltig etwas zu verändern, reicht es nicht aus, die Wohnung zu entmüllen. Wichtig ist, gemeinsam mit den Betroffenen aufzuräumen, Dinge zu sortieren und neue Ordnungssysteme zu entwickeln. Notwendig sind auch eine umfassende psychosoziale Begleitung und eine nachsorgende Betreuung.
Der spezialisierte Fachdienst ist Dreh- und Angelpunkt der Konzeption „Hilfe für Menschen in vermüllten Haushalten“, denn der notwendige Aufbau von Vertrauen ist sehr schwierig und zeitintensiv. Er kann im bisherigen Hilfesystem nicht geleistet werden. Ziel ist, die betroffenen Menschen zu befähigen, ihren Haushalt selbst zu organisieren beziehungsweise Therapien oder andere Anschlusshilfen einzuleiten, um den drohenden Wohnungsverlust auch langfristig zu vermeiden. Den Fachdienst wird der Kreisdiakonieverband Esslingen von Oktober an aufbauen. Eine durch den zuständigen Sozialdienst jeweils einberufene Helferkonferenz entscheidet künftig, ob die Hilfe bewilligt werden kann. Die in einem Hilfeplan festgeschriebenen Ziele werden nach sechs Monaten überprüft. Die zeitlich weniger aufwendige Nachbetreuung kann sich auf maximal neun Monate ausdehnen.
Da die Zahlen der betroffenen Menschen lediglich auf Schätzungen beruhen, gibt es für das Konzept eine einjährige Erprobungsphase. Dafür hat der Kreisdiakonieverband bei der „Aktion Mensch“ einen Förderantrag gestellt. „Nach dem Probelauf wollen wir sehen, wie viel man erreichen kann“, sagte Berg. Läuft das Projekt weiter, bezahlt der Landkreis den Dienst aus der Einzelfallhilfe im Sozialetat.
Sozialausschuss-Mitglieder begrüßten das Vorhaben einhellig: „Die betroffenen Menschen und ihr ganzes Umfeld leiden“, betonte Nicolas Fink (SPD). Er hoffe, dass sich Personal finde, das bereit sei, sich dieser schwierigen Aufgabe zu stellen. Joachim Gädeke (Freie Wähler) befürchtet, dass die Zahlen höher liegen als gedacht. Den ganzheitlichen Ansatz des Konzepts lobte Margarete Schick-Häberle (Grüne), und Robert Bolsinger (CDU) begrüßte, dass nicht nur die Wohnung entmüllt, sondern auch ein Hilfeplan erstellt wird.