Kirchheim. Beim Erdrutsch vor zweieinhalb Jahren ist sowohl für Historiker als auch für Wanderfreunde Unwiederbringliches verloren gegangen: Während die Wanderer den Verlust der Aussichtsplattform bedauern werden, trauern Archäologen und Historiker dem Fundament nach, auf dem die Plattform lange Zeit geruht hatte. Stammte der obere Teil – also die Aussichtsplattform –aus der Neuzeit, so waren die Fundamente spätmittelalterlich. Die Plattform wurde wohl im 19. Jahrhundert auf dem Stumpf eines alten staufischen Turms errichtet. Dieser Turmstumpf ist aber beim Absturz ebenfalls eingefallen. Weitere Steine, die dem Erdrutsch noch standgehalten hatten, wurden gleich im Anschluss entfernt – zur Sicherung der Absturzstelle. Auch der Verbleib dieser historischen Eckbuckelquader lässt sich nachträglich nicht mehr restlos nachvollziehen.
Was historisch also einen erheblichen Verlust bedeutet, das war für die Archäologie zunächst sogar ein Glücksfall. Wilfried Frank, der zuständige Mitarbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde im Esslinger Landratsamt, spricht von zwei interessanten archäologischen Funden. Dass der Turmstumpf staufisch war und erst in jüngerer Zeit einen Aufsatz erhalten hatte, sei zwar schon vorher klar gewesen. Wie stark aber der ursprüngliche Turm fundamentiert war, das habe man bislang nicht gewusst: „Das Plattenfundament ist sehr aufwendig geschichtet.“ Dieses enorme Fundament stehe wohl in Zusammenhang mit einer Zisterne, die es bereits in staufischer Zeit gab und deren Zuleitungen nun ebenfalls ans Tageslicht kamen.
Der andere bedeutende Fund war eine Treppe, die erst später in den Turm eingebaut worden war. Grund dafür sei wohl eine Umnutzung des Turms gewesen. Die Archäologen sind nun auch auf alte Fußböden gestoßen, die von dieser Treppe aus ins Burginnere führten. Zerstört worden seien diese Fußböden bereits 1525 im Bauernkrieg. Damals war nahezu die gesamte mittelalterliche Burganlage ein Raub der Flammen und der Zerstörungswut geworden.
Sowohl die Fundamente als auch die Treppe hätten ohne den Mauersturz niemals so gründlich archäologisch untersucht werden können, weil der Turmstumpf ohne den Erdrutsch sicherlich nicht freigelegt worden wäre. Die Frage war bislang nur, wie für die Zukunft mit diesen Relikten der alten Burg umzugehen sei. Archäologisch seien alle Funde gut gesichert, sagt Wilfried Frank. Wolle man sie allerdings sichtbar erhalten, würde das auf Dauer das Ende des Original-Turmstumpfs bedeuten. Die Archäologen hätten daher von sich aus bereits angeregt, die offenen Stellen wieder zu verschließen.
Diplom-Ingenieur Johann Grau, der beauftragte Planer für den „Wiederaufbau“ des Turms, bestätigt das: „Es geht darum, den Turmstumpf einzuhüllen, sodass er der Nachwelt erhalten bleibt.“ Dafür brauche es ein festes Material, das gleichwohl wieder einmal entfernt werden könne. Die vorgesehene Lösung passe sich der Landschaft an. In spätestens drei Jahren sei alles begrünt. Die eigentlichen Arbeiten könnten aber erst beginnen, wenn der Winter vorbei ist. Johann Grau rechnet für den Baubeginn mit Mitte oder Ende März. Insgesamt werde vier bis sechs Wochen daran gearbeitet. Wenn also Anfang Mai die Wandersaison beginne, sei alles fertig, und die Teck lasse sich wieder ohne jegliche Einschränkung durch die Baustelle erklimmen.
Der ehrenamtliche Hauptfachwart für Bauten beim Schwäbischen Albverein, Wolfgang Würth, sagt: „Theoretisch könnten wir morgen anfangen. Aber wir kommen im Winter nicht mit schwerem Gerät rauf.“ Die Kosten der Bauarbeiten beziffert Wolfgang Würth auf circa 100 000 Euro. Zuschussanträge seien gestellt, aber einen Großteil habe der Verein selbst zu finanzieren.
Peter Keck, Pressesprecher des Landratsamts Esslingen, führt aus, was historisch interessierte Menschen sehr bedauern werden: „Der Turm wird in seiner alten Form nicht wieder aufgebaut.“ Es gehe bei den Arbeiten, für die bereits eine Genehmigung vorliegt, lediglich darum, die Absturzstelle zu sichern und die archäologischen Funde abzudecken. Die obere Brüstung, also der Mauerabschluss, werde ebenfalls nicht wieder aufgemauert. Hier kommen stattdessen Gabionen zum Einsatz – mit Steinen gefüllte Gitter.
Diese Gabionen-„Mauer“ wird übrigens eine ähnliche Form haben wie die frühere Mauer auf der Aussichtsplattform. Allerdings ragen die Gabionen nicht nach außen. Vielmehr verkleinern sie den Burghof entsprechend. Wilfried Frank von der Unteren Denkmalschutzbehörde hält diese Lösung für gelungen: „Man soll ruhig sehen, dass die Mauer hier unterbrochen ist, dass das also einmal anders gewesen sein muss.“
Eigentlich hätten sich die Denkmalschützer gewünscht, dass der Turmstumpf möglichst originalgetreu wieder aufgebaut wird. Weil aber die archäologischen Funde trotzdem entsprechend zu schützen gewesen wären, hätte der Turm in dieser Variante viel größere Ausmaße erhalten als bisher. Das sei aber nur ein Problem gewesen im Ringen um die denkmalpflegerisch beste Lösung. Ein weiteres Problem war, dass der Schwäbische Albverein als Eigentümer und Bauträger diese „Ideallösung“ nicht akzeptiert habe.
Eine denkmalschutzrechtliche Anordnung sei in diesem Fall aber nicht möglich gewesen, weil eine solche Anordnung nicht für Rekonstruktionen gelte. Deshalb sei nun eine Kompromisslösung zustandegekommen, die vorsieht, dass die historischen Funde mit einer Schutzschicht abgedeckt werden. Es folgt eine zusätzliche Trennschicht, bevor die Spritzbetonmauer aufgebracht wird. Dadurch seien die Funde konserviert.
Wilfried Frank kommt zu folgendem Schluss: „Wir stehen zu der Entscheidung. Sonst hätten wir das ja auch gar nicht genehmigt. Wichtig ist vor allem, dass die Sache jetzt zu einem Abschluss kommt.“ Das Loch an der Außenmauer der Teck habe ohnehin ungewöhnlich lange geklafft.