Rollentausch im Beruf (1): Der 30-jährige Matthias Lebschy gehört zu den wenigen Tagesvätern im Kreis Esslingen
„Ich bin einfach ein Exot“info

Frauen in typischen Männerberufen und Männer in Frauendomänen: Diese Menschen stellt der Teckbote in den nächsten Wochen in einer Serie vor. Den Start macht der 30-jährige Matthias Lebschy, der zu den wenigen Tagesvätern im Kreis Esslingen gehört.

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Plochingen. „Kommt, jetzt ziehen wir die Schuhe an“, ruft Matthias Lebschy – und Julie, Charlotte und Robin flitzen aufgeregt zur Haustür. Der 14 Monate alte Robin kreischt begeistert. Seine hohe Stimme erfüllt den Raum, während Matthias Lebschy der zweijährigen Julie in ihre Gummistiefelchen hilft. „Das ist für die Kinder der aufregendste Moment des Tages“, sagt der 30-Jährige aus Plochingen, der sich hauptberuflich an fünf Tagen in der Woche um bis zu vier Kinder kümmert. Wenn der Tagesvater mit seinen Sprösslingen den täglichen Spaziergang durch die Stadt unternimmt, dann sind immer alle ganz aus dem Häuschen. „Vor allem der Wagen macht den Kindern viel Spaß“, unterstreicht Matthias Leb­schy und setzt Charlotte, Julie und Robin nacheinander in den Kinderwagen, der insgesamt sieben Dreikäsehochs Platz bietet und den der Plochinger bei einem Ausstattungsunternehmen für Kindergärten gekauft hat.

An diesem Morgen geht die Fahrt für Charlotte, Julie und Robin zu einem Park und einem Spielplatz in Plochingen. Dort dürfen die Kleinen herumtollen, sich austoben und die Welt erkunden. „Die tägliche frische Luft ist wichtig. Danach sind die Kinder ruhiger und zufriedener“, erzählt Matthias Lebschy, der stets alle Hände voll zu tun hat. So muss er Julie von der Rutsche weglotsen, auf der sich Regentropfen sammeln, und sie stattdessen auf der Schaukel anschubsen. „Schneller, schneller“, fordert das Mädchen. Derweil ist Robin flügge geworden und spaziert neugierig durch die Parkanlage. Matthias Leb­schy rennt hinterher und trägt den Buben auf dem Rücken zurück zum Spielplatz. „Du bleibst jetzt hier bei uns, ja?“, sagt der Tagesvater zu dem unschuldig dreinblickenden Jungen.

Als das Vierer-Team schließlich die „Rückreise“ antritt, hüpfen die Kinder in ihrem Wagen auf und ab und quasseln in ihrem kindlichen Wortschatz fröhlich durcheinander. Eine Frau geht an dem großen Kinderwagen vorbei und lächelt. „Auf den Wagen werde ich oft angesprochen“, erzählt der 30-Jährige. „Die Leute finden ihn super und praktisch.“ Dennoch reagieren längst nicht alle Menschen positiv auf den Tagesvater, es gibt auch kritische Stimmen. So habe kürzlich ein Interessent abgesagt, weil er sich nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass sich ein Mann um sein Kind kümmert. „Ein anderer Interessent hatte Angst vor Missbrauch“, fügt Matthias Lebschy hinzu. Schwierig sei es außerdem, auf dem Spielplatz unter all den Müttern akzeptiert zu werden. „Mit drei oder vier Frauen unterhalte ich mich manchmal, aber mit den meisten komme ich nicht ins Gespräch. Ich gebe einfach ein exotisches Bild ab – auch wegen dem Wagen“, weiß der gelernte Heilerziehungspfleger, der vor seiner Tagesvater-Tätigkeit in Behindertenwohnheimen gearbeitet hat. Nicht gerade begeistert sei am Anfang auch sein Schwiegervater gewesen, erzählt Matthias Lebschy. „Für ihn gilt die klassische Rollenverteilung, bei der sich die Frau um die Kinderbetreuung kümmert. Aber mittlerweile akzeptiert er meine Arbeit.“

Seit zwei Jahren ist der Vater zweier Kinder in der Kinderbetreuung tätig. Seine drei Jahre alte Chiara und die vierjährige Angelina sind unter der Woche in einem Kindergarten in Esslingen untergebracht. Seine Frau arbeitet als medizinisch-technische Fachangestellte bei einem Augenarzt in Esslingen. „Sie wollte nach einiger Zeit Mutterpause wieder in ihren Beruf einsteigen. Dann bin ich in Elternzeit gegangen und habe eine Ausbildung zum Tagesvater gemacht – bei der ich der einzige Mann war“, erinnert sich Matthias Lebschy. Voraussetzung für diese Ausbildung ist, dass das polizeiliche Führungszeugnis in Ordnung ist. Dann kann man alles, was Tageseltern wissen müssen, in zwei Kursen lernen. „Den zweiten Kurs konnte ich mir sparen wegen meiner Ausbildung zum Heilerziehungspfleger“, fügt der Plochinger hinzu, der sich bei regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen – sogenannten praxisbegleitenden Qualifizierungen – mit den anderen Tagesmüttern und -vätern trifft. Außerdem erneuert er ein Mal im Jahr den Erste-Hilfe-Kurs am Kleinkind.

Der Tagesablauf des 30-Jährigen ist straff durchorganisiert: Zwischen 7 und 9 Uhr geben die Eltern ihre Kinder bei ihm zu Hause ab, dann wird erst mal gefrühstückt. Anschließend geht die Rasselbande an die frische Luft. „Wenn wir wieder zu Hause sind, bereite ich das Mittagessen vor. Das ist die stressigste Zeit, denn die Kinder haben Hunger und werden ungeduldig.“ Beim Essen sind dann aber alle brav, betont der 30-Jährige. Nur Julie, um die er sich kümmert, seit sie vier Monate alt ist, sei in den ersten Wochen schwierig gewesen. „Sie hat viel geschrien und nichts gegessen. Aber jetzt hat sie Vertrauen aufgebaut.“ Wenn die Kinder nach Mama rufen – was manchmal vorkommt – lenkt Matthias Lebschy sie einfach ab. „Das klappt ganz gut.“ Unproblematisch sei auch der morgendliche Abschied von den Eltern. „Die Kinder kommen mir immer schon entgegengelaufen“, freut sich der Tagesvater, der von Charlotte, Felix und Robin „Papa“ gerufen wird. Julie hingegen spricht ihren Tagesvater auch oft mit „Papthias“ an – einer Mischung aus Papa und Matthias.

Nach dem Essen steht für die Kleinen ein Mittagsschläfchen auf dem Programm. Dann geht‘s noch mal an die frische Luft auf den Balkon oder in den Garten. Und nach einer kleinen Obst-Mahlzeit werden auch schon die ersten Kinder abgeholt: Julie geht kurz vor 15.30 Uhr, Robin ist in zweiwöchigem Abstand bis 18 beziehungsweise bis 16 Uhr da, Felix bis 17.15 Uhr und Charlotte montags bis 14 und an den anderen Tagen bis 17 Uhr. Ist die Wohnung leer, geht‘s für Matthias Lebschy ans Putzen und Aufräumen.

Um alle vier Kinder kümmert sich der Plochinger montags und dienstags, mittwochs und donnerstags besuchen ihn drei „seiner“ Kinder und freitags bestimmen zwei der Kleinen seinen Tagesablauf. Die Eltern der 14 Monate alten Charlotte, von Julie, Robin und dem knapp zwei Jahre alten Felix sind alle berufstätig und deshalb auf die Tagesbetreuung angewiesen. „Als ich zehn Jahre alt war, nahm meine Mutter auch Kinder zur Pflege auf. Bei uns waren immer viele Kinder im Haus. Vielleicht habe ich das von ihr übernommen“, überlegt der 30-Jährige. „Es macht einfach einen Heidenspaß mit den Kindern. Es ist schön, wenn sie Glück verbreiten und andere mit ihrem Lachen anstecken und wenn man ihre Entwicklung mitbekommt – zum Beispiel, wie sie wachsen und das Reden lernen.“

Dass dies in den meisten Fällen Frauen erleben und dass er als Tagesvater zu den wenigen Ausnahmen gehört, ist Matthias Lebschy bewusst. Allerdings hält er nicht viel davon, dass sich hauptsächlich Frauen um die Kinderbetreuung kümmern. Männer sollte man auch einbeziehen und nicht außen vor lassen, sagt der Tagesvater. „Die Kinderbetreuung ist eine Stellschraube, an der man einiges in der Gesellschaft verbessern kann“, ist Matthias Lebschy überzeugt.

Auf Dauer will der 30-Jährige jedoch nicht als Tagesvater tätig sein – denn hauptberuflich davon zu leben sei schwierig. „Die Tagespflege steckt noch in den Kinderschuhen. Es wird viel rumprobiert, und wir Tageseltern sind der Spielball“, gibt Matthias Lebschy zu bedenken. Das Jugendamt bezahlt ihm pro Kind und Stunde 3,90 Euro. Je nach Einkommen der Eltern müssen sie sich an diesem Betrag beteiligen. Weil Matthias Leb­schy aber Sozialversicherung abführen und Steuern bezahlen muss,

Zwar sei das Konzept der Kinderbetreuung durch Tageseltern eine gute Sache, denn man könne den Kindern eine familiäre und geborgene Atmosphäre zu Hause bieten, in der sie den Alltag in einer Familie miterleben. Und gleichzeitig wäre es möglich, den Eltern mit flexiblen Betreuungszeiten entgegenzukommen. „Aber es werden Billigbetreuungsplätze geschaffen. Die Entlohnung stimmt schlichtweg nicht“, ärgert sich der Tagesvater. Deshalb will er demnächst eine Kinderkrippe für Unter-Dreijährige in Esslingen eröffnen. Hier erhalte er von der Stadt einen deutlich höheren Zuschuss. „Die Immobilie ist bereits gekauft, im März nächsten Jahres könnte es mit der Eröffnung klappen.“

Für die Kinderkrippe, in der zwischen 7 und 17 Uhr 24 Unter-Dreijährige betreut werden können, will er mit sechs Angestellten zusammenarbeiten: mit hauswirtschaftlichen Kräften, die kochen und beim Putzen helfen, Kinderpflegern, Sozialpädagogen und mit Erziehern. Und natürlich wird Matthias Lebschy dabei darauf achten, dass er mindestens einen männlichen Kollegen hat . . .