Ausstellung „Auf Schienen in die Welt hinaus“ zum Auftakt des großen Eisenbahnjubiläums
Im Karacho durch die Bahnhistorie - 150 Jahre Eisenbahn

„Im Karacho durch die Landschaft mit der Eisenbahn“, intonierte der LUG-Chor „Männersache“ und machte mit schmissigen Rhythmen eine hektischere Zeit fühlbar. Anlass war die Eröffnung einer neuen Ausstellung im Kornhaus: Im Karacho durch 150 Jahre Eisenbahngeschichte in Kirchheim führt nämlich auch die Schau „Auf Schienen in die Welt hinaus“. Sie stellt den Auftakt zum großen Jubiläumsjahr dar.

Kirchheim. „In unserem Zug ist immer höchste Eisenbahn, die Stimmung im Waggon ist immer abgefahr‘n“ schmetterten die Sänger des Ludwig-Uhland-Gymnasiums unter Leitung von Bertram Schattel, begleitet von Anna-Maria Wilke am E-Piano. Trillerpfeifen und Schnaufen untermalten ihre Darbietung und ließen die Dampfeisenbahn geradezu ins Kornhaus einlaufen. Dort nämlich informiert eine liebevoll zusammengestellte Ausstellung über 150 Jahre Eisenbahngeschichte in Kirchheim.

Bei der Eröffnung beschrieb Oberbürgermeisterin Angelika Matt-Heidecker die enorme Zäsur, die die Eisenbahn für die Teckstadt bedeutete. „Die Stadt wurde durch die Schienenverbindung an die industrielle Moderne angeschlossen, aber – über Umsteigepunkte – auch an die europäischen Metropolen“, machte die Stadtchefin klar. Kirchheimer Industrielle waren es, die sich zusammenschlossen, um den Eisenbahnanschluss zügig voranzutreiben. Sie gründeten eine Aktiengesellschaft mit dem Zweck, die Schienenverbindung zu realisieren.

1864 war es soweit: Die 6,26 Kilometer lange Zweigstrecke von Kirchheim nach Unterboihingen konnte nach nur siebenmonatiger Bauzeit eröffnet werden, wie Stefanie Schwarzenbek ausführte, Leiterin des Städtischen Museums im Kornhaus und Triebfeder der Ausstellung, für die das Museum mit dem Archiv kooperierte. Für die neue Strecke brauchten die Züge seinerzeit gerade mal zehn Minuten. – „Die S-Bahn benötigt heute acht Minuten“, schlug Schwarzenbek den Bogen in die Gegenwart.

Dass die Bahn vor 150 Jahren Kirchheim schon bediente, war nicht unbedingt selbstverständlich. Schließlich wurde ein 1856 von Kirchheim eingereichter Antrag, die neue Linie von Plochingen nach Reutlingen über Kirchheim zu führen, schlichtweg abgelehnt. – Die Idee, eine Zweigbahn in Privatinitiative zu schaffen, setzte sich aber schnell in den Köpfen der Entscheidungsträger durch. Der Erfolg gab den Mutigen recht: Schon 1880 waren alle Schulden beglichen, und 1899 schließlich ging die Linie in die Obhut der Staatseisenbahn über. Es folgte die Weiterführung nach Lenningen und 1908 auch nach Weilheim.

Aus dem Kopfbahnhof wurde damals ein Durchgangsbahnhof, der eine Drehung des Bahnhofsgebäudes um 90 Grad erforderlich machte. Schon vor hundert Jahren gab es auch erste Pläne zur Verlegung des Bahnhofs. Bekanntlich kam es zu diesem Schritt, der heute von vielen bedauert wird, erst im Jahr 1974. Seither befindet sich der Kirchheimer Bahnhof am heutigen Platz und nicht mehr zentral am Postplatz.

Die Ausstellung im Obergeschoss des Kornhauses präsentiert eine ganze Reihe historischer Fotografien und sogar interessantes Filmmaterial, etwa vom Abbruch des Bahnhofsgebäudes sowie zur erst fünf Jahre zurückliegenden Eröffnung der S-Bahn-Verlängerung bis Kirchheim. Im Mittelpunkt des Interesses dürften allerdings die zahlreichen Reminiszenzen an die gute alte (Eisenbahn-)Zeit stehen: Uniformen und Werkzeuge finden sich ebenso wie die ziemlich unhandlichen „Taschenfahrpläne“, die Vertreter der heutigen Bahn-App-Generation wahrscheinlich nur mit Mühe lesen können. Ein besonderer Gag: Das „Ticket“ in Form einer historischen Fahrkarte kann stilecht gestempelt werden. Kinder dürfen sich selbst als Gleisbauer betätigen.

Was heute mit liebevollem Blick als altmodisch bewertet wird, wurde früher nicht selten als Bedrohung empfunden. Stefanie Schwarzenbek machte deutlich, dass die Bevölkerung in puncto Eisenbahn ausgesprochen gespalten war. Die Zahl der Skeptiker war groß, zumal zwar die Statistik eine erhöhte Sicherheit gegenüber Postkutschen auswies, aber dennoch einige spektakuläre Unfälle Ängste schürten. Viele Gegner des neuen Verkehrs- und Transportmittels sahen sich in ihrer Existenz bedroht, wogegen die Befürworter vor allem auf wirtschaftliche Impulse hofften. „Zu einer geschlossenen Opposition gegen die Eisenbahn kam es nicht“, erläuterte die Museumschefin. Zu klar waren wohl die Vorteile, zu euphorisch die Berichte der ersten Bahnreisenden.

So konnte also der Bahnanschluss ab 1864 die Stadt Kirchheim maßgeblich verändern. Doch nicht nur das. Auch die Auswirkungen der Bahn auf die gesamte Gesellschaft waren enorm: „Die Bahn eröffnete Mobilität für jedermann“, machte Stefanie Schwarzenbek klar. Unabhängig von Standesgrenzen konnten alle die Bahn nutzen, wenn auch in unterschiedlichen Bequemlichkeitsstufen, wie der Begriff „Holzklasse“ noch heute deutlich macht.

Kurzum: Bewohnern der Region um die Teck stand plötzlich die Welt offen. Darauf nahmen auch die „Männersache“-Sänger Bezug mit ihrer eigens auf Kirchheim umgetexteten „Schwabenhymne“. Darin heißt es: „Auf dr Schwäbscha Eisabahne geits gar viele Haltstatione: Schtuegert, Cannstadt, Esslingen, Kirchheim-Teck und Lenningen!“

 

Die Ausstellung im Kirchheimer Kornhaus „Auf Schienen in die Welt hinaus“ bis 5. Oktober bietet ein umfangreiches Begleitprogramm. Flyer liegen vielerorts aus. Ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr „150 Jahre Eisenbahn Kirchheim unter Teck“ ist das Jubiläumswochenende am 20. und 21. September mit zahlreichen Aktionen und der Fahrt eines historischen Zuges. Außerdem lässt die Theaterspinnerei die alte Güterhalle am Kirchheimer Bahnhof zur Bühne werden und präsentiert an 18 Terminen das eigens zu diesem Anlass geschriebene Stück „Delirium Furiosum – nächster Halt Endstation?“