Kirchheim. Wer ein Kind erwartet, ist mit vielen Entscheidungen konfrontiert. Soll eine Hebamme oder der Frauenarzt die Vorsorgeuntersuchung machen? Wer bereitet mich auf die Geburt vor? Wo will ich entbinden? Wer hilft mir in der ersten Zeit nach der Geburt?
Wer die Hilfe einer Hebamme in Anspruch nehmen will, darf nicht zu lange überlegen. „Im Moment haben wir im Landkreis die Situation, dass viele Frauen keinen Platz in einem Geburtsvorbereitungskurs bekommen“, sagt Angelika Behrens, Zweite Vorsitzende des Esslinger Kreisverbands der Hebammen. Ihr Rat: Werdende Eltern sollten sich schon früh in der Schwangerschaft für einen Kurs anmelden. Wer im Wochenbett von einer Hebamme betreut werden will, muss möglichst vor dem vierten Monat anrufen. Frauen, die eine Komplettbetreuung während und nach der Schwangerschaft wünschen, rät Angelika Behrens, sich sogar schon vor der zehnten Schwangerschaftswoche zu melden.
Im Landkreis Esslingen gibt es derzeit zu wenige Hebammen. Wegen schlechter Vergütung und stark steigender Nebenkosten, vor allem bei der Haftpflichtversicherung, lohne sich die Arbeit für viele Kolleginnen nicht mehr, so Angelika Behrens. Wer beispielsweise Hausgeburten anbieten will, zahlt pro Jahr 4 200 Euro für die Haftpflichtversicherung. Vergütet wird eine Hausgeburt pauschal mit 548,80 Euro. „Ich muss also zehn Hausgeburten im Jahr machen, um überhaupt einmal die Versicherungskosten reinzubekommen“, sagt die Hebamme. Diese Hürde schreckt offenbar viele ab: Angelika Behrens ist eine der ganz wenigen Hebammen im Kreis, die Hausgeburten anbietet.
Aber auch selbstständige Hebammen, die keine Geburtshilfe leisten, leiden unter der schlechten Vergütung. Hauptsächlich betroffen seien Frauen, die wegen eigener Kinder nur in Teilzeit arbeiteten. „In letzter Zeit haben einige aufgehört, weil sie nicht auf einen Gewinn kommen“, sagt Angelika Behrens. Ein Beispiel: Für einen Hausbesuch bekommt eine Hebamme 27,07 Euro von der Krankenkasse – unabhängig davon, ob die Anfahrt fünf Minuten oder eine halbe Stunde dauert und egal, ob es der Frau gut geht oder sie im Wochenbett mit schweren Depressionen darniederliegt. Davon müssen Steuern, Versicherung und Spritkosten abgezogen werden. Die Vergütung der Hausbesuche ist laut Angelika Behrens in den letzten Jahren kaum angepasst worden. 2005 gab es pro Hausbesuch 24,50 Euro. Die Erhöhung würde von der Inflation und den steigenden Nebenkosten aufgefressen.
Ein anderes Beispiel sind die Geburtsvorbereitungskurse, die von Hebammen in ihren Praxen oder in angemieteten Räumen angeboten werden können. Pro Teilnehmerin bekommt die Hebamme 5,71 Euro pro Stunde vergütet. Angelika Behrens rechnet vor: „Für zehn Frauen würde ich rund 60 Euro pro Stunde bekommen. Davon gehen Steuern, Versicherung und Raummiete ab. Am Ende bleibt weniger als die Hälfte.“ Für viele Hebammen lohne sich das einfach nicht. Auch Angelika Behrens bietet mittlerweile keine Geburtsvorbereitungskurse mehr an.
Leidtragende sind neben den Hebammen auch die Eltern. „Die Frauen, die schon mal eine Hebamme hatten, wissen, dass sie sich früh melden müssen.“ Die weniger gut informierten würden häufig erst nach der Entbindung aus dem Krankenhaus anrufen, um zu fragen, ob sie eine Betreuung haben könnten. „Denen muss ich leider sagen, dass sie sechs Monate früher hätten anrufen sollen“, sagt Angelika Behrens.
Die Hebamme findet das problematisch – vor allem, weil ihrer Erfahrung nach meist die Eltern zu spät anrufen, die die Hilfe einer Hebamme eigentlich dringend bräuchten, weil sie im Umgang mit dem Kind unsicher sind und wenig Unterstützung aus ihrem Umfeld haben. „Da geht es auch um Kindeswohlgefährdung und um Prävention“, sagt Angelika Behrens. „Im Wohnzimmer können uns die Familien nichts vormachen.“ Wenn sie merke, dass eine Familie überfordert sei, könne sie beispielsweise eine Familienhelferin vermitteln. Die Hebammen arbeiten eng mit dem Landratsamt und Projufa, einem Angebot für junge Familien, zusammen. „Diese psychosoziale Arbeit wird immer wichtiger“, sagt Behrens. Allerdings ist diese Aufgabe mehr oder weniger ihr Privatvergnügen: Die Kasse zahlt nur für die medizinische Betreuung.
„Junge Mütter und junge Familien sind in unserer Gesellschaft nicht viel wert“, sagt Angelika Behrens. Sie findet es frustrierend, dass sich trotz des politischen Engagements der Hebammen nichts tut. „Wir hatten vor einem Jahr die erfolgreichste Online-Petition, die es jemals gab. Seitdem bekommen wir sieben Cent mehr pro Hausbesuch“, sagt Angelika Behrens. Krankenkassen und Politik würden sich den schwarzen Peter zuschieben. Viele Hebammen haben die Hoffnung aufgegeben, dass sich etwas ändert. „Es ist schwer, Kolleginnen fürs Demonstrieren zu motivieren, die ohnehin schon ausgebrannt sind“, sagt Angelika Behrens. Wenn alles so weitergehe, werde es in Zukunft immer weniger Hebammen geben.
Wer eine Hebamme sucht, findet im Internet unter www.esslinger-hebammen.de eine Liste.