Kirchheim. Ein Ehepaar aus Kirchheim traute jüngst seinen Augen nicht: Auf dem Bildschirm des privaten Laptops der Eheleute war plötzlich ein ungewöhnliches Fenster aufgetaucht, das mit den Logos der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) versehen war. In einem Text wurde ihnen vorgeworfen, auf verbotenen Internetseiten gesurft und dabei gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Ihr PC sei deshalb gesperrt. Die Sperrung werde aber bei Bezahlung von 100 Euro per Ukash-Karte (siehe Kasten) wieder aufgehoben, wurde in dem Text versprochen. Bezahlen die Eheleute nicht, werde gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet.
Das Paar erkannte gleich, dass es sich um einen Trojaner handeln musste, der sich auf ihrem PC eingenistet hatte. Was die Kirchheimer allerdings noch viel mehr beunruhigte: Neben dem Fenster erschien rechts oben im Bildschirm ein Foto, das die Ehefrau in ihrem Nachthemd in der Küche zeigte. Das Ehepaar erschrak und dachte sofort, Unbekannte hätten von außen durch das Fenster der Küche fotografiert, in der die Rollläden in der Regel nicht heruntergelassen sind. „Das war schon beunruhigend“, sagt die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will.
Wann und von wo aus genau das Foto aufgenommen wurde, konnten sich die Eheleute nicht erklären. „Wir haben versucht, es zu rekonstruieren“, erzählt sie. Doch ohne Erfolg.
Die Polizei, die sofort eingeschaltet wurde, weiß hingegen, was dahintersteckt: Das Ehepaar hat sich einen sogenannten GVU-Trojaner eingefangen, durch den unbekannte Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit die Webcam des Laptops aktivieren und so die Frau fotografieren konnten. „Ich halte es für unwahrscheinlich, dass das Bild von außen gemacht wurde. Das kann ich mit fast 100-prozentiger Sicherheit ausschließen“, sagt Polizeihauptmeister Markus Berger, der den Fall der Kirchheimer Eheleute bearbeitet.
Solche Erpresser-Trojaner, bei denen den Betroffenen vorgeworfen wird, Kinderpornografie heruntergeladen oder Urheberrechtsverletzungen begangen zu haben, kommen schon seit längerer Zeit täglich im Kreis Esslingen vor, fügt der Polizeihauptmeister hinzu. Relativ neu sei allerdings die Masche mit den Webcam-Fotos. Durch diesen Eingriff in die Privatsphäre werden die Betroffenen noch mehr beunruhigt und unter Druck gesetzt, ergänzt Berger.
Er und Dieter Barth, Leiter der Kriminalinspektion für Wirtschafts- und Internetkriminalität der Polizeidirektion Esslingen, warnen eindringlich: Betroffene, die einen solchen Trojaner auf ihrem PC vorfinden, sollen das geforderte Geld auf keinen Fall bezahlen. „Denn dadurch würde sich nichts ändern. Der Trojaner kommt wieder – auch wenn man bezahlt hat“, erklärt Berger. Auch ein eventuell von den Tätern beigefügtes kinderpornografisches Bild solle man nicht zur Beweissicherung speichern. Denn sonst mache man sich strafbar.
Zwischen 20 und 25 Fälle des GVU-Trojaners werden der Polizeidirektion Esslingen derzeit monatlich gemeldet, informiert Dieter Barth. „Die Dunkelziffer ist aber viel höher“, gibt er zu bedenken und betont: „Nicht immer greift der Trojaner so weit in das Betriebssystem ein, dass die Webcam geöffnet wird.“ Durch die Logos der GVU und des BSI würde sich der Trojaner vermeintlich seriös und bürokratisch-juristisch präsentieren. Doch davon solle man sich nicht blenden lassen.
Im Fall der Kirchheimer Eheleute befand sich der Laptop einige Tage zur Auswertung bei der Esslinger Polizeidirektion. Doch ob die Beamten den Tätern auf die Spur kommen, ist ungewiss. Denn die Suche nach Online-Kriminellen gestalte sich generell äußerst schwierig, räumen die beiden Polizeibeamten ein. „Vermutlich sitzen sie irgendwo im Ausland“, sagt Markus Berger.
Er betont, dass der PC und die Festplatte nicht defekt seien, wenn sich ein Trojaner installiert habe. Werde dieser fachgerecht mithilfe einer speziellen Datenreinigungs-CD entfernt, funktioniere der Computer wieder ohne Probleme, unterstreicht Dieter Barth. Und damit man sich erst gar keinen Trojaner einfängt, sei ein Antivirusprogramm, das regelmäßig aktualisiert wird, das A und O.