Der Sommer wirkt, und er lässt so manches Problem in gedämpftem Licht erscheinen. Während die Inzidenz auch im Kreis Esslingen weiter im Sinkflug ist, gerät ein Versprechen fast in Vergessenheit. Spätestens bis Sommer, so die Prognose aus dem Berliner Gesundheitsministerium, werde es mehr Impfstoff als Impfwillige geben. Marc Lippe, verantwortlicher Mann in den beiden Kreisimpfzentren in Esslingen und auf den Fildern, erlebt täglich ein ganz anderes Szenario. Rund 800 Impfungen insgesamt pro Tag, das ist nur die Hälfte dessen, was möglich wäre und letztlich auch eingeplant war. Lippe hat sein Team aus Ärzten und Mitarbeitern des Malteser Hilfsdienstes inzwischen verkleinert. Urlaubsempfehlungen, Überstundenabbau, längst wird hier nicht mehr jeder gebraucht.
Was dringend gebraucht würde, wäre Impfstoff. Das Wichtigste: Die Zweitimpfungen sind Lippe zufolge im Moment sichergestellt. „Viel mehr aber auch nicht“, sagt der Malteser-Bezirkschef. Während fast alle Hersteller mit Problemen in der Produktion, bei der Zulassung oder mit Impfempfehlungen kämpfen, wächst die Zahl der Frustrierten, vor allem unter Jüngeren. Kinder sind in den beiden Zentren im Kreis zwar die seltene Ausnahme, weil die Ständige Impfkommission (Stiko) sich mit ihrer Empfehlung noch zurückhaltend gibt, doch die Gruppe der unter 20-Jährigen wächst. Seit auch in Betrieben geimpft wird, zieht die Mangelverwaltung größere Kreise. Bestes Beispiel: Bei Heller in Nürtingen kamen bei der groß angelegten Impfaktion vor knapp zwei Wochen nur 120 von 1000 versprochenen Dosen an Mann und Frau. „Man sollte sich darauf konzentrieren, dass die Impfzentren unter Volllast laufen und erst dann den nächsten Schritt setzen“, sagt Marc Lippe. Der Esslinger Landrat Heinz Eininger findet deutlich klarere Worte. Er spricht von „Guerilla, solange keiner sagt, wo es herkommen soll.“
Wie lange die Kreisimpfzentren geöffnet bleiben, ist zur Stunde noch immer unklar. Die bisherige Zusage gilt bis 15. August. „Bis 1. Juli brauchen wir wegen der Zweitimpfungen Klarheit“, betont Marc Lippe. Dass ein Weiterbetrieb sinnvoll wäre, steht für ihn außer Frage - auch mit Blick auf eine erwartbare dritte Impfung im Herbst. „Nur sie schützt vor der nächsten Welle, wenn es wieder kälter wird“, sagt er.
Seit vergangenem Wochenende ist immerhin die Hälfte der Bevölkerung im Land zumindest einmal geimpft. Im Kreis stehen nach wie vor Gruppen im Fokus, die als besonders gefährdet gelten. Hochbetagte in Pflegeheimen waren die ersten, zuletzt waren mobile Impfteams kreisweit in Flüchtlingsheimen unterwegs, wo Menschen auf engstem Raum zusammenwohnen. Knapp mehr als 40 Prozent der rund 700 Impfberechtigten in Gemeinschaftsunterkünften sind zurzeit vollständig geimpft. „Eine Quote, mit der wir im landesweiten Vergleich gut dastehen“, sagt Heinz Eininger. Bei den Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflüchtet sind, erschweren Angst, Misstrauen und Sprachbarrieren die Überzeugungsarbeit.
Neue Regeln ab Montag
Was der Sommer bringt, weiß keiner. Wie viel Impfstoff kommt, bleibt die Inzidenz niedrig und wie schnell verbreiten sich die ansteckenderen Virusvarianten? Gestern waren im Landkreis elf Fälle der als gefährlich eingestuften Delta-Variante bekannt. Dazu kommen drei Verdachtsfälle. Im Esslinger Landratsamt wartet man nun auf neue Signale seitens der Landesregierung. „Wir sind gespannt, was möglicherweise an neuen Lockerungen kommt“, sagt Behördensprecherin Andrea Wangner. Ende dieser Woche will das Sozialministerium eine grundlegend überarbeitete Corona-Landesverordnung vorlegen. Das neue Stufenmodell soll dann auch Inzidenzwerte im einstelligen Bereich berücksichtigen. In Kraft treten sollen die neuen Regeln bereits am kommenden Montag.