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„In Italien schlafen viele Asylbewerber unter freiem Himmel oder in Abrisshäusern“

Auch Marianne Gmelin, Beauftragte für Flüchtlinge im Kirchenbezirk Kirchheim, ist schockiert über die Abschiebung eines Dettinger Asylbewerbers. Laut mehrerer Gutachten sei der Mann nicht reisefähig gewesen.

Heike Allmendinger

Die Abschiebung des Eritreers war laut Gesetz wohl rechtens. In Dettingen ist man trotzdem entsetzt über das unmenschliche Handeln der Verantwortlichen. Können Sie das nachvollziehen?

MARIANNE GMELIN: Ja, das kann ich absolut. Er war in Italien erfasst und wurde deshalb nach dem Dublin-III-Verfahren nach Rom zurückgebracht. Die Frage ist aber, ob er reisefähig war. Es gibt mehrere ärztliche Gutachten, die ihn als nicht reisefähig und sehr traumatisiert eingestuft haben. Es ist erschreckend, dass dies vom Gesundheitsamt und vom Regierungspräsidium nicht akzeptiert wurde. Dass man jemanden nachts abholt, ist ebenfalls unmenschlich. Aber das ist gängige Praxis. Die Landespolizisten führen die Abschiebungen aus und übergeben die Asylbewerber am Flughafen der Bundespolizei.

In Italien sind die Lager voll, die Zustände katastrophal. Werden die Asylbewerber dort tatsächlich auf die Straße gesetzt?

GMELIN: Ja, dort kümmert sich häufig niemand. Sie fristen dort oft ein Leben als Obdachlose und schlafen unter freiem Himmel oder in Abrisshäusern. Unrühmliche Bekanntheit hat das besetzte Bürohaus „Anagnina“ in Rom.

 

Laut der Dublin-III-Verordnung ist der europäische Staat für einen Flüchtling zuständig, in dem er zuerst angekommen ist. Sollte man die Flüchtlingsströme nicht gerechter verteilen?

GMELIN: Ja, dieses Verfahren ist unsolidarisch und ungerecht. Ziel ist es, den Druck auf die EU-Staaten an den Außengrenzen hoch zu halten. Es gilt: Wer die Grenzen nicht abriegelt und Flüchtlinge durchlässt, muss am Ende die Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen. Das Abschieben in Elend und Hoffnungslosigkeit muss geändert werden. Wegen Arbeitsüberlastung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge konnten im ersten Halbjahr 2014 statt der 15 500 Flüchtlinge, bei denen eine Zustimmung zu einer Überstellung in andere Mitgliedstaaten vorlag, nur 2 700 Flüchtlinge tatsächlich überstellt werden.