Andreas Volz
Kirchheim. Die exakte Einhaltung der Zeitvorgaben war beachtlich: So genau mit dem Glockenschlag war der Ministerpräsident erschienen, dass die Musik mit ihrem Vorprogramm noch nicht einmal beim Höhepunkt angelangt war. Also durfte sich Winfried Kretschmann noch unters Volk mischen, solange das Lied „von de grüne Männla“ den Platz beschallte. Und weiter ging es mit dem Vorprogramm, jetzt eben mit dem rednerischen Teil: Der Kirchheimer Grünen-Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz hieß den hohen Gast willkommen, ging kurz auf die Energiewende ein, die jetzt angeschoben sei, und führte seinen Kreistagskollegen Matthias Gastel ein, der sich um ein Bundestagsmandat im hiesigen Wahlkreis bewirbt.
Auch Matthias Gastel sprach zunächst über die Energiewende. Aktuell würden 25 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt, stellte er fest und erwähnte die Chancen, die die Energiewende biete: 380 000 Arbeitsplätze seien dadurch bereits entstanden. Im Gegensatz zum Atomstrom, der seinerzeit durch Steuergelder subventioniert worden sei, würden die Verbraucher nun eben durch höhere Strompreise an den Kosten für erneuerbare Energie beteiligt. Gleichwohl gelte es, „den Strompreis im Blick zu behalten“.
Ansonsten setzt sich Matthias Gastel für sparsamere Fahrzeuge ein, für einen gesetzlichen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro, für mehr betriebliche Mitbestimmung und für die Rückkehr zur Existenzgründerförderung. Auch hinter der Schuldenbremse stehe seine Partei. Das einzige Problem sei die Finanzierung. Deshalb sei der Spitzensteuersatz ab einem Jahreseinkommen von 90 000 Euro brutto anzuheben. Außerdem wollen die Grünen die vermögensbezogenen Steuern erhöhen – allerdings „bei hohen Freibeträgen“.
Nach diesem spannungssteigernden Auftakt war nun endlich Winfried Kretschmann an der Reihe. Auch er begann mit der Klimapolitik: „Das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück konnte ich leider nicht sehen, aber ich habe mir sagen lassen, dass das Wort ,Klimaschutz‘ da gar nicht vorgekommen ist.“ Es gebe aber Themen, „die einfach da sind – ob wir darüber reden oder nicht“. Eines dieser Themen sei der Klimawandel, und dabei steht für den baden-württembergischen Ministerpräsidenten fest: „Wir müssen den Klimawandel eingrenzen, damit er nicht aus dem Ruder läuft.“
Winfried Kretschmann sieht im Klimawandel aber nicht nur ein Problem, sondern eine Chance, gerade für die Wirtschaft in Baden-Württemberg: „Wer Produkte entwickelt, um Ressourcen und Energie zu sparen, sichert sich damit die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.“ Baden-Württemberg sie dabei auf einem guten Weg, weil es die Region auf der Welt sei, die mit fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts am meisten Geld für Forschung und Entwicklung ausgebe. Deshalb zeigte sich der Ministerpräsident auch „stolz auf die vielen Mittelständler, auf unsere vielen versteckten Weltmarktführer“.
Die Energiepreise würden jetzt gewaltig steigen, gab Kretschmann zu. Sie seien aber schon immer gestiegen. Für die Zukunft dagegen machte der Ministerpräsident gestern in Kirchheim ein großartiges Versprechen: „Mittel- bis langfristig werden die Energiepreise sinken, und zwar aus einem einfachen Grund: Die Sonne schickt uns keine Rechnung.“
Baden-Württemberg könne viel dazu beitragen – durch die Entwicklung entsprechender Produkte. Dann brauche es auch kein Fracking: „Unsere Chance besteht in Intelligenz, und nicht darin, dass wir in der Erde bohren. Damit übernehmen wir globale Verantwortung, und nur so ein innovatives Land wie unseres kann das machen.“
Allerdings sei Baden-Württemberg nicht überall gut und reich. „Wir sind ein kinderarmes Land“, stellte der Ministerpräsident fest. Um dem entgegenzuwirken, gelte es, in die frühkindliche Entwicklung zu investieren und allen die bestmöglichen Chancen einzuräumen: „Schon vor der Grundschule müssen alle Kinder die deutsche Sprache gut beherrschen, sonst haben sie Startschwierigkeiten.“ Kretschmann machte sich für die Ganztagsschule stark, zu der auch AG-Angebote gehörten, damit die Kinder – nach Pestalozzi – „mit Kopf, Herz und Hand“ lernen könnten.
Nach einem Lob für die starken Kommunen im Land, für den „innovativen und gut aufgestellten Mittelstand“ und für die vielen bürgerschaftlich engagierten Baden-Württemberger kam der Ministerpräsident noch auf ein ganz spezielles Thema zu sprechen, nach dem ihn selbst Papst Benedikt XVI. bei seinem Besuch im Land gefragt habe: Stuttgart 21. „Ich habe selbst zehn Jahre lang dagegen gekämpft“, sagte Winfried Kretschmann. Aber jetzt müsse er – auch wenn das Ergebnis des Volksentscheids nicht seiner Meinung entsprach – „das Projekt positiv begleiten“. Dazu sei er durch Verträge, nach Recht und Gesetz verpflichtet: „Das muss ich als guter Demokrat machen. Die direkte Demokratie kann auch so ausgehen, dass es einem nicht gefällt. Trotzdem glaube ich, dass die direkte Demokratie richtig ist.“
Abschließend forderte der grüne Landesvater seine Zuhörer vor dem Kirchheimer Rathaus auf, „frohgemut in die Zukunft zu sehen“. Sprach‘s und verschwand – und überließ die Bühne noch einmal der Musik und dem Song von den grünen Männchen.