Kreis Esslingen. Glücklich ist der, der ein Grundstück im Grünen hat, auf dem er am Wochenende ein wenig schaffen und danach im Liegestuhl entspannen kann. Ab und zu schweift der Blick zu den vor ein paar Jahren gepflanzten Rosen. Die Kinder oder Enkel spielen Fangen oder schwingen auf der Schaukel. Am Abend kommen Freunde zu einem netten Grillabend vorbei – für viele eine schöne Vorstellung. Naturschützern stellen sich eher die Haare zu Berge.
Der Landkreis Esslingen hat rund 515 000 Einwohner, die sich auf 44 Gemeinden verteilen. Durchschnittlich tummeln sich 803 Einwohner auf einem Quadratkilometer. Viel unbebaute Fläche ist also nicht übrig. Damit die nicht auch noch der Bauwut zum Opfer fällt, hat das Land Baden-Württemberg sie zum Landschaftsschutzgebiet erklärt. Damit einher geht die Einschränkung der Nutzung, die der Grundstückseigentümer entschädigungslos hinzunehmen hat.
In einem Landschaftsschutzgebiet sollte ein privater Grundstücksbesitzer also seine Wiese mähen – doch möglichst nicht alle 14 Tage mit dem Rasenmäher, denn das ist nicht gut für die Artenvielfalt. Naturschützer empfehlen, Streuobstwiesen zwei- oder dreimal im Jahr mit dem Balkenmäher zu mähen und zu heuen. Der Besitzer sollte seine Bäume pflegen, also Äste zurückschneiden und Misteln entfernen. Und im Herbst kann er Obst aufklauben und zur Annahmestelle fahren. Wenn er Glück hat, bekommt er acht Euro für den Doppelzentner.
Viele Stückle-Besitzer würden sich eine weniger strenge Auslegung wünschen. Der Nürtinger Karl-Heinz Frey, Sprecher der Landesnaturschutzverbände im Kreis Esslingen, kennt diese Forderungen nach weniger restriktiven Vorschriften, die auch von Obst- und Gartenbauvereinen immer wieder erhoben werden. Für Frey steht jedoch außer Frage, dass der Gemeinnutz und damit der Landschaftsschutz Vorrang hat. „Die freie Landschaft bei uns wird übernutzt. Mountainbiker, Nordic Walker, Reiter oder Hundehalter wollen die Natur für ihr Hobby nutzen. Doch der Naturschutz ist ebenfalls wichtig“, sagt er. In seinen Augen werden die meisten Streuobstwiesen derzeit nur gepflegt, damit man dort auch seine Freizeit verbringen kann. Mit dem Obst könnten die meisten heute nichts mehr anfangen. Hütten im Landschaftsschutzgebiet? Dafür ist Frey nicht zu haben: „Wenn man den Besitzern hier den kleinen Finger reicht, ist gleich die Hand weg“, sagt er.
Frey glaubt jedoch auch, dass man die Streuobstwiesen langfristig sowieso kaum erhalten kann. Mostobst wolle heute so gut wie keiner mehr. Und ohne die Obstbäume könnte Frey auch leben. Ohne die Landschaftsstruktur jedoch nicht. „Statt des Obstes könnte man Wildfrüchte, Elsbeeren, Vogelbeeren, Wildkirschen oder Nussbäume anbauen. So könnte man die Insekten und Vögel erhalten, bräuchte sich jedoch nicht um Ernte oder Rückschnitt kümmern“, sagt Karl-Heinz Frey. Neupflanzungen, Förderprogramme – als Etikettenschwindel bezeichnet er das, denn bereits jetzt seien diejenigen, die heute die Bäume pflegen, in fortgeschrittenem Alter und irgendwann nicht mehr in der Lage, sich um ihre Grundstücke zu kümmern. Der Nachwuchs jedoch fehle. „Und die alten Apfelbäume werden ohnehin wegen des Klimawandels Probleme bekommen“, prophezeit Frey.
Davon, dass Streuobstwiesen langfristig nicht erhalten werden können, will Petra Bernert, Leiterin der Biosphärengebietsverwaltung, nichts hören. Mit Fördergeldern von der EU und vom Land will sie den Niedergang der Streuobstwiese zumindest im Biosphärengebiet aufhalten. Denn hier ist die Streuobstwiese ein Alleinstellungsmerkmal, war also eines der Kriterien, das die UNESCO dazu bewog, der Schwäbischen Alb das Prädikat „Biosphärengebiet“ zu erteilen. Geht das Alleinstellungsmerkmal verloren, könnte es sich die UNESCO mit dem Prädikat auch wieder anders überlegen. Im Gegensatz zu Karl-Heinz Frey setzt sie sehr auf die zahlreichen Förderprogramme, beispielsweise „Life+“.
Im Landschaftsschutzgebiet etwas weniger restriktiv vorzugehen, wünschen sich beispielsweise viele der 33 Obst- und Gartenbauvereine (OGV), die im Kreisverband Nürtingen organisiert sind. Die Klage vieler Wiesenbesitzer, dass sie auf ihrem Grundstück zwar Pflichtaufgaben erfüllen, dafür aber nicht einmal eine Gerätehütte errichten dürften oder das Grundstück auch als Naherholungsrefugium nutzen könnten, kann die Vorsitzende Sigrid Jetter durchaus nachvollziehen.
Viele der Vereinsmitglieder äußerten den Wunsch nach Gerätehütten. „Und die Hütten müssen ja nicht schlecht sein. Sie können Wildbienen, Fledermäusen oder Siebenschläfern Unterschlupf bieten“, argumentiert Jetter, die sich andererseits aber auch gegen den Wildwuchs beim Hüttenbau verwahrt. „Dass sich jemand da sein Wochenendhäuschen hinbaut, wollen wir auch nicht. Für mehr Zugeständnisse an die Menschen, von denen man ja eigentlich nichts anderes als den Erhalt der Kulturlandschaft Streuobstwiese verlangt, sind wir allerdings schon“, sagt die Kreisverbandsvorsitzende.
Erhielten Wiesenbesitzer, die einen Antrag auf den Bau einer Hütte gestellt haben, einen negativen Bescheid des Landratsamtes, scheuten sich viele, Widerspruch einzulegen, vermutet Jetter. Ein Vorgehen, das jedoch möglicherweise Erfolg haben könnte. Denn nach dem Widerspruch nimmt sich das Regierungspräsidium des Antrags an. Wie Behördensprecher Clemens Homoth-Kuhs sagte, prüfe das Regierungspräsidium dann, ob ein Befreiungsgrund vorliege. Das bedeute zwar nicht, dass dem Antrag in jedem Fall stattgegeben werde, doch es werde der Einzelfall geprüft.
Ob mit oder ohne Gerätehütte – die Streuobstwiesen verloren zu geben, und stattdessen, wie Karl-Heinz Frey vorschlägt, Wildfrüchte anzubauen, hält Sigrid Jetter jedoch für keine Lösung. Sie hofft, dass Wiesenbesitzer und Vermarkter den Wert heimischen Apfelsaftes wieder schätzen lernen.