Die Archäologie am Heidengraben steht im Mittelpunkt einer Ausstellung in Erkenbrechtsweiler
Jahrtausendealte Schätze unterm DachInfo

Etwas Einmaliges ist derzeit im Bürgerhaus in Erkenbrechtsweiler zu sehen: Alle wichtigen Funde aus dem Südwesten sind in der Ausstellung „Kelten, Kalats, Tiguriner – Archäologie am Heidengraben“ im passenden Ambiente zu bestaunen.

Erkenbrechtsweiler. Klein aber fein könnte ein weiteres Motto der Kelten-Ausstellung heißen. Jahrtausendealte Schätze gilt es unter den raumbestimmenden Dachbalken zu entdecken. Der ganze Raum strahlt eine besondere Atmosphäre aus, der passender für die Kelten kaum sein könnte. Der Besucher kann sich leicht in ein anderes Zeitalter versetzen lassen und sich mit ein bisschen Fantasie in einem keltischen Langhaus wähnen, nachdem die beiden Stiegen erklommen sind.

Unterm Dach angekommen, wird der Blick magisch von einer in leuchtendem Rot gewandeten Frau angezogen, deren großes Kopftuch über der Stirn Goldperlen schmücken. Die Rekonstruktion einer Frauentracht, die samt und sonders in Handarbeit hergestellt wurde, kleidet eine Schaufensterpuppe – und hat zwei Seiten zu bieten. Ihr Rücken wird von einem langen, in dezentem Blau gehaltenen Umhang bedeckt, den unterschiedlich gewebte Muster zieren. Eines davon fällt sofort ins Auge: Es ist das uralte Sonnensymbol, das jahrtausendelang in vielen Kulturen zu Hause war: die Swastika – zu trauriger Berühmtheit gelangt und missbraucht von den Nazis als Hakenkreuz. „Die Kleider sind das teuerste Exponat der Ausstellung“, verrät Roman Weiß, Bürgermeister in Erken­brechtsweiler und bekennender Fan der Ausstellung. Ihn freuen die vielen Besucher, die seit der Eröffnung das beschauliche Albdorf bewusst ansteuern, um die seltenen Exemplare bewundern zu können. Dazu zählt etwa ein Ehepaar aus der Schweiz, das zunächst den Kelten am Heidengraben einen Besuch abstattete und am nächsten Tag die Heuneburg bei Riedlingen ansteuerte.

Die archäologische Sensation der Ausstellung ist jedoch ganz klar die „Waage vom Heidengraben“, die 1998 in der Nähe von Tor B der „Elsachstadt“ ausgegraben wurde. Zunächst fand der auf der Vorderen Alb als „Ackerläufer“ bekannte Achim Lehm­kuhl einen vollständig erhaltenen Drehmühlenstein. Beim genauen Betrachten erkannten die Fachleute einen Rostfleck und schlossen da­raus, dass sich in unmittelbarer Nähe des Fundorts Eisenteile befinden müssen und gruben gezielt an dieser Stelle. Ihr Fleiß und Scharfsinn wurden belohnt. Zunächst fanden sie einen fünf Kilogramm schweren Stein mit einer Eisenkette und weitere Eisenteile. „Ein eng zusammengepacktes Bündel mit großem, 13,5 Zentimeter weitem Ring und Kette, einer Eisplatte mit Nieten sowie zwei durch kleine Ringe verbundene Stabgliederketten mit Hakenenden. Aufgefaltet ist dieses Gehänge rund 1,40 Meter lang“, haben dazu die Archäologen vermerkt. Im Führer zu archäologischen Denkmälern „Der Heidengraben – Ein keltisches Oppidum auf der Schwäbischen Alb“ ist darüber weiter vermerkt: Röntgenbilder zeigten schnell, dass eine ungleicharmige Waage vorliegt. Die Öse für die Kette mit Aufhängering am oberen Ende der Eisenplatte ist um zehn Millimeter gegen die für die beiden Stabgliederketten versetzt: Am kurzen Lastarm werden Ballen, Bündel, Säcke oder Körbe mit dem zu wiegenden Gut angehängt und mit dem auf dem Waagbalken zu verschiebenden Laufgewicht ins Gleichgewicht gebracht. Der aus Ulmenholz gefertigte, sicher mit einer Messlatte versehene Waagbalken mag recht kurz gewesen sein. Selbst ein nur 30 Zentimeter langer Balken lässt eine zu wiegende Last von rund 150 Kilogramm zu.

Eine Rekonstruktion dieser frühgeschichtlichen Waage hängt direkt neben dem Originalfund. Angefertigt hat sie Andreas Wilmmy von Archäo, eine Kooperation für Kulturvermittlung. Er ließ seine Waage von einem kräftig gebauten Kollegen auf die Tauglichkeit prüfen, und das Ergebnis war eindeutig: Test bestanden. Der Fundort nahe des Tores legt für die Wissenschaftler den Schluss nahe, dass die Kelten auch mit schweren Lasten Handel trieben. „Bezeichnend erscheint die Fundstelle im Oppidum, nur etwa 50 Meter vom Tor entfernt, dort also, wo Ware hereinkommt oder die ,Stadt‘ verlässt“, ist im Denkmalführer nachzulesen. Goldmünzen und Schmuck, Speere und Dolche, Schüsseln und eine Amphore sind im Bürgerhaus ebenfalls zu bewundern. Markant und vielen Wanderern als Wegzeichen bekannt ist der auffallende Achsnagel. „Auf den eisernen Schaft ist ein Bronzekopf aufgegossen, der eine dämonische Gestalt mit strähnig zurückgekämmtem Haar zeigt“, beschreiben Fachleute diesen Fund.

Eine Animation, die auf den Boden projiziert wird, zeigt die Vordere Alb in ihrer ganzen Pracht aus der Vogelperspektive und vermittelt so die Größe des damaligen Siedlungsgebiets der Kelten. Außerdem verdeutlicht eine Karte die Ausdehnung der Befestigungsanlage des größten keltischen Oppidums nördlich der Alpen, deren Ausdehnung dank der Erdwälle in einzelnen Bereichen – beispielsweise südlich von Grabenstetten neben der Kreisstraße – heute noch deutlich in der Landschaft zu sehen ist. Auch die Hügelgräber beim Burrenhof sind Zeugen dieser untergegangenen Kultur, deren Mittelpunkt die Elsachstadt war.

Das eine oder andere Schmankerl findet sich auch für die Kinder. Sie – und auch Erwachsene – können sich ein Kuhhorn ans Ohr halten und per Knopfdruck einen Anruf in die Vergangenheit auslösen. Wie mühselig die Kornverarbeitung vor Tausenden von Jahren war, kann jeder Besucher selbst austesten. Einst wurden die Getreidekörner lediglich mithilfe zweier flacher Steine zerrieben.

Der Start der Ausstellung thematisiert jedoch etwas ganz anderes, was auch den ungewöhnlichen Titel erklärt: Die Steinzeitmenschen, die ebenfalls die Alb als Siedlungsgebiet auserkoren hatten, im Allgemeinen und „Rulaman“ im Besonderen. Mit den „Kalats“ im Jugendroman „Rulaman – Naturgeschichtliche Erzählung aus der Zeit des Höhlenmenschen und des Höhlenbären“ sind die Kelten gemeint, die als technisch den einheimischen Steinzeitmenschen weit überlegen beschrieben werden, aber charakterlich in dem Buch schlecht wegkommen. Autor des 1878 erschienenen Werks ist der 1829 in Grabenstetten geborene David Friedrich Weinland. Dieser erlaubte sich einige dichterische Freiheiten, denn Kelten und Steinzeitmenschen konnten sich niemals begegnen – Jahrtausende trennen diese beiden Volksgruppen.

Die Tiguriner waren ein Teilstamm der keltischen Helvetier, die im Gebiet der heutigen Schweiz, in Südwestdeutschland und vielleicht auch um den Heidengraben siedelten, informiert der Ausstellungsflyer. Ein Kontingent dieses Stamms schloss sich um 110 vor Christus dem Zug der Kimbern und Teutonen, zwei germanische Volksstämme, nach Gallien an, wo sie jahrelang Raubzüge unternahmen und dabei mehrere römische Heere besiegten.

Veranstalter der Ausstellung sind die Heidengrabengemeinden Erkenbrechtsweiler, Grabenstetten und Hülben, die Un iversität Tübingen, FAKT (Förderverein für Archäologie, Kultur und Tourismus) sowie die Landesdenkmalpflege. Leihgaben kommen vom Landesmuseum Württemberg sowie vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg.

Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 21. Mai im Bürgersaal des Bürgerhauses in Erkenbrechts­weiler, Uracher Straße 4. Die Öffnungszeiten sind dienstags von 16 bis 19 Uhr, freitags von 14.30 bis 17.30 Uhr sowie samstags, sonntags und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr. Zur Ausstellung werden Führungen angeboten – weitere Informationen dazu gibt es unter der Telefonnummer 0 70 26/9 50 51 10.