Die „Gollabecke“ Maria Goll feiert morgen in Bissingen ihren 90. Geburtstag
Jeder neue Tag hinter der Ladentheke hält fit

Als Seniorchefin steht sie noch Tag für Tag hinter der Ladentheke. Maria Goll, Seele der gleichnamigen Bäckerei und Bissinger Urgestein, feiert morgen ihren 90. Geburtstag.

Bissingen. Die „Gollabecke“, wie sie in Bissingen jeder kennt und schätzt, ist ein Kind der Seegemeinde. Sie stammt aus der Unternehmersfamilie Jakob Renz. Wie es vor dem zweiten Weltkrieg auf dem Lande so üblich war, unterhielten ihre Eltern neben dem Geschäft auch eine Landwirtschaft. Für Maria und ihre zwei Brüder war es selbstverständlich, nach der Schule im elterlichen Betrieb mitzuhelfen. Bereits mit 13 Jahren, ihre achtjährige Schulzeit war gerade vorüber, kam sie in eine große Bäckerei nach Bad Cannstatt, führte dort im Winterhalbjahr den Haushalt und kochte für die Bäckersfamilie und die Angestellten. Sommers half sie den Eltern nach wie vor in der Landwirtschaft und im Geschäft.

1943 verlobte sie sich mit Hermann Goll, bevor er in den Krieg zog. Fünf lange Jahre musste Maria Renz auf ihren Hermann warten, bevor er 1949 aus russischer Gefangenschaft wieder nach Hause kam. Jetzt gingen beide mit Feuereifer daran die elterliche Bäckerei von Hermann Goll in der Vorderen Straße umzubauen, um sich damit den Start für eine gemeinsame Zukunft zu schaffen. „Ich hab‘ mit der Schippe den Speis angemacht. Wir haben bei Null angefangen und mussten arg sparen,“ erinnert sie sich.

1950 wurde das Geschäft eröffnet und im Juni deselben Jahres heirateten die Beiden. Maria Goll packte wieder, wie es ihre Art ist, über all mit an, wo sie gebraucht wurde. Ob es in der Backstube beim Brot einschießen war, hinter der Ladentheke oder im Haushalt, kochen, Kindererziehung und Pflege der Schwiegermutter mit eingeschlossen: „Ich hab‘ alles gerne gemacht und genommen, wie‘s gekommen ist“, verrät die Jubilarin, deren positive Lebenseinstellung sie auch im hohen Alter nicht verlassen hat.

Oft begann ihr arbeitsreicher Tag bereits in aller Herrgottsfrühe um vier Uhr und dauerte bis in den Abend hinein. „Samstagnachts habe ich durchgearbeitet“, erzählt sie.

Zwar hat sie, als Sohn Friedrich 1979 die Bäckerei übernahm, mit einem Augenzwinkern gesagt, „mit 90 geh‘ ich in Rente“, doch auch heute noch lässt sie es sich nicht nehmen, von 7.30 bis 18.30 Uhr und samstags gar ab 6 Uhr im Geschäft zu stehen.

Und nicht nur das. Maria Goll interessiert sich auch nach neun Jahrzehnten noch für alles, vor allem den Sport. Sie kennt die Bundesliga, verfolgt die täglichen Nachrichten und weiß, wo der Dax steht. Zur Konfirmation mit 13 erhielt sie ihr erstes Fahrrad und radelte gleich damit über die Alb zu Verwandten nach
Laichingen und von dort weiter nach Ulm und wieder zurück - an einem Tag. Das bereitete ihr soviel Freude, dass sie auch heute noch Radfahren würde, hätte nicht der Doktor vor einem Jahr ein Schloss dran gehängt. Nun nimmt sie die Nordic-Walking-Stöcke ihre Tochter und hält sich damit fit.

Neben Sport, Politik und Börse zählen Volksmusik und deutsche Schlager zu ihrer vierten „heimlichen Leidenschaft“. So ließ es sich Maria Goll nicht nehmen, das Abschiedskonzert der „Flippers“ zu besuchen. Auch Hansi Hinterseer erlebte sie bereits livehaftig im Konzert.

Morgen wird der Bäckerladen aus allen Nähten platzen. Dann werden Maria Goll nicht nur ihre Familie und die zwei Enkel Kathrin und Andreas gratulieren und von Herzen alles Gute wünschen. Auch die Bissinger werden ihrer „Gollabecke“ die Hand schütteln wollen. Zufriedenheit und ihre Aufgabe haben sie so alt werden lassen. Davon ist sie überzeugt.

Foto: Jean-Luc Jacques