Camerata Europeana unter Radoslav Szulc und die Bratscherin Nina Arnold begeistern in der Stadthalle
Kammermusikalischer Hochgenuss

Kirchheim. In Person eines Kirchheimer „Eigengewächses“, der jungen Bratscherin Nina Arnold, und


mit der kammermusikalisch besetzten, international konzertierenden Camerata Europeana stellten sich im vorletzten Kulturring-Abonnementkonzert der laufenden Saison beeindruckende Musiker mit Werken aus der Wiener Klassik und der Moderne vor.

Den Programmauftakt bildete Joseph Haydns Sinfonie Nr. 44 in e-Moll („Trauersinfonie“), die wohl um 1771 entstand und mit kontrapunktischer Anlage im ersten, zweiten und letzten Satz, Chromatik, einer ausdifferenzierten Dynamik und einfallsreichen Rhythmik einige für Haydns sogenannten „Experimentierstil“ typische Elemente enthält. Das Ensemble der Camerata setzte dabei bereits im einleitenden Allegro con brio eine Reihe konzertanter „Duftmarken“, zum Beispiel durch hochpräzises Zusammenspiel der einzelnen Instrumentengruppen, agogisch und dynamisch gut abgestimmte Phrasenschlüsse und bei Bedarf durchsichtig schlanke, dann wieder energisch kraftvolle Tongebung. Im Menuetto–Allegretto, das hier etwas ungewohnt an zweiter Stelle der Satzfolge steht und als apartes, kanonisch angelegtes Wechselspiel zwischen hohen und tiefen Streichern und Bläsern angelegt ist, gefielen der spritzige Menuettteil, der insgesamt fließende Duktus und das gefällig und unter Ausreizung dynamischer Effekte ausmusizierte Trio mit heiklem, aber sicher abgeliefertem Solo des ersten Horns. Den Höhepunkt der Darbietung bildete indessen das sanglich elegische Adagio mit gedämpftem Streicherton, das von den Musikern mit gro­ßer Gestaltungskraft in breitem dynamischem Spektrum – vom zartesten Pianissimo bei den filigranen Verästelungen des Streichersatzes bis zu kraftvollem Fortissimo im Tutti – gestaltet wurde. Der kurze Finalsatz, ein mit energisch leidenschaftlichem Zugriff dargebotenes Presto, ließ die Zuhörerschaft dann ein erstes Mal begeistert jubeln.

Franz Anton Hoffmeister (1754 – 1812) war als Komponist und Musikverleger in seiner Zeit hoch geschätzt und ging auch als persönlicher Freund Mozarts in die Musikgeschichte ein. Sein vielleicht bekanntestes Werk, das Konzert für Viola und Orchester in D-Dur, wurde nicht von ihm selbst verlegt und liegt nur in Abschriften vor. So bleibt bis heute ungeklärt, ob der „recht mediokre Orchesterpart“, dem eine „phantasievolle und ausdrucksstark geschriebene Solostimme“ (Hartmut Rohde) gegenübersteht, von ihm nur skizzenhaft vorlag oder gar von einem seiner Schüler verfasst wurde. Mittlerweile gehört das Werk in der ohnehin spärlichen Konzertliteratur für Viola und Orchester zum Standardrepertoire versierter Solobratscher.

So wartet gleich der Kopfsatz des Allegro mit großem technisch-virtuosem Anspruch auf. Nach melodisch eingängigem, mozartisch getöntem Eingangstutti greift die Solobratsche das Hauptthema auf, wobei Nina Arnold sogleich den Trumpf des warmen, runden Tons ihres Instruments ausspielte, der vor allem im mittleren und tiefen Register bestach. Anspruchsvolle, intonationssauber bewältigte Doppelgriffpassagen, dynamisch gekonnt abgestufte Arpeggien in bogentechnischer Herausforderung, leichthändig hingezaubertes Laufwerk und eine ausdrucksstarke, mit vertrackten Schwierigkeiten ge­spickte Kadenz zeichneten hier Arnolds Vortrag aus.

Ein Glanzlicht dann das zwar im technischen Anspruch abgesenkte, aber gestalterisch umso heiklere Adagio, in dem es Nina Arnold und dem sensibel begleitenden Orchester bes­tens gelang, den kantablen und ausschwingenden Charakter des Satzes zu betonen. Eine strahlend aufblühende, dann wieder im Pianissimo verhauchende Tongebung der Solobratsche wurde vom Tutti kongenial aufgegriffen, sodass sich ein stimmiger tonlicher Gesamteindruck einstellte. Sonore Tonfülle dann auch in der Kadenz, die ohne die leiseste Trübung mit schönen Echoeffekten „zelebriert“ wurde.

Gelöste Musizierfreude versprühte dann das in keckem Wechselspiel zwischen Soloinstrument und Tutti tänzerisch schwingende Rondo, in dem sich sattes Legato mit federleicht hingetupftem Spiccato in dynamischer Abschattung ablöste. Solistin und Orchester, das von Radoslav Szulc nur „moderiert“ zu werden brauchte, liefen hier nochmals zu großer Form auf, was vom entfesselten Publikum mit anhaltendem Applaus honoriert wurde. Nina Arnold bedankte sich mit einem dem Ohr schmeichelnden „Capriccio“ für Bratsche solo von Henri Vieuxtemps.

Mit Béla Bartóks „Divertimento für Streichorchester“ von 1939 erschloss sich dem Publikum nach der Pause eine ganze andere Welt der Töne, in der ein entspanntes sich Zurücklehnen fast unmöglich war. Auf reines Streichorchester reduziert, hatte die Camerata hier den Anspruch einer Komposition zu bewältigen, die im Charakter weit über das herkömmlich gefällige und eingängig unterhaltende „Divertimento“ etwa der Wiener Klassik hinausgeht. Bartók beschwört darin eine frappierende Klangfarben- und Ausdrucksvielfalt, die den Hörer in ihrem abrupten und schroffen Wechsel zwischen fast schriller, aufschreiartiger Harmonik und leise entrückter, zuweilen fahler Passagen an die Grenzen musikalischen Empfindens bringt. Virtuose Einwürfe der Solovioline, der Bratsche und des Cellos, die an diesem Abend bestens gelangen, bringen zudem Anklänge an die Concerto-Grosso-Form.

Wunderschön gelang der Camerata der Mittelsatz und damit auch das Herzstück der Komposition, ein Adagio mit geheimnisvoller Aura, die von den Musizierenden gekonnt beschworen wurde: Versonnenes Raunen der tiefen Streicher, flirrendes Tremolo der hohen Streicher, Akkordschläge, aus denen sich zartes, solis­tisch intoniertes Flehen erhebt, schrille Unterbrechungen in starker Rhythmisierung – all diese Elemente wurden in der Darbietung zu einem in sich abgestimmten Ganzen verschmolzen. Eine Fülle von musikalischen Effekten auch im Finale des Allegro assai, das mit rassiger Rhythmik und rustikalem Touch ein ungarisches Volksfest evoziert. Streichersoli (hervorstechend die teils rhapsodisch kadenzierende Solovioline) setzten hier zusätzliche Glanzlichter und rissen das Publikum zu frenetischem Abschlussbeifall hin, für den sich die Camerata mit dem hinreißend musizierten „Air“ aus der dritten Orchestersuite von Johann Sebas­tian Bach revanchierte.