Lenningen. „In diesem Fall beißen nicht den Letzten die Hunde, sondern den Ersten“, fasste Bürgermeister Michael Schlecht die Problematik zusammen. Nach zigfacher Beratung hatte der Lenninger Gemeinderat auf den Tag genau vor einem Jahr mit deutlicher Mehrheit die Stromkonzession an die Energieversorgung Lenningen vergeben. Diese GmbH hat die Gemeinde gemeinsam mit dem Albwerk gegründet.
Im Frühjahr 2012 bekam Lenningen mitgeteilt, dass die Kartellbehörde ein Verfahren gegen die Gemeinde eröffnet hat. „Bemerkenswert ist, dass die EnBW während des gesamten laufenden Verfahrens bis Juli 2011 keine Bedenken hinsichtlich dessen Rechtsmäßigkeit geäußert hatte“, wundert sich der Schultes. Die EnBW war ein Mitbewerber um die Stromkonzession. Zudem habe während des ganzen Verfahrens vor der Vergabe im Sommer 2011 niemand irgendwelche Bedenken geäußert und vor weiteren Schritten gewarnt. „Nach damaliger Rechtskenntnis haben wir richtig gehandelt. Den Verfahrensbrief, der jetzt die Dinge regelt, gab es im Sommer 2011 noch nicht“, stellte Michael Schlecht klar. Er versteht deshalb nicht, weshalb er sich an diesem nach dem Lenninger Vertragsabschluss verfassten Papier messen lassen muss.
Die Festlegung der Kriterien einschließlich des damit verbundenen Verfahrens wurde von einem Fachrechtsanwalt so vorgeschlagen. „Zudem hatte das Landratsamt als Rechtsaufsichtsbehörde im Anschluss an die Vergabeentscheidung der Gemeinde die Gesetzmäßigkeit dieses Gemeinderatsbeschlusses bestätigt“, führte der Schultes weiter aus. Doch im Frühjahr zückte die Kartellbehörde die rote Karte. „Generell wird die Kartellbehörde von Amts wegen tätig. Dazu gehört auch, dass sie Kenntnis von möglichen Kartellverstößen erlangt beziehungsweise Dritte ihr einen Sachverhalt mitteilen, der Kartellverstöße beinhalten könnte“, lässt die Behörde auf Nachfrage verlauten.
„Begründet wurde der Verdacht von der Kartellbehörde vor allem mit einer vermeintlichen Vorfestlegung der Gemeinde Lenningen durch die Gründung der Energieversorgung Lenningen. Beanstandet wurde ferner, dass die Kriterien für die Auswahlentscheidung erst nach Eingang der Bewerbungen, mitgeteilt wurden, die Auswahlkriterien erweiterbar sein sollten und schließlich auch keine Gewichtung der Kriterien beschlossen und den Bewerbern mitgeteilt wurde“, erklärte Michael Schlecht vor dem Gemeinderat. Zudem habe die Behörde auch Bedenken, dass bei der Entscheidung Auswahlkriterien maßgeblich zugrunde lagen, die nicht den netzbezogenen gesetzlichen Kriterien entsprechen.
„Die Gemeindeverwaltung sieht dies anders“, so der Schultes. Der Gemeinderat hatte im Mai 2011 die Auswahlkriterien für die Netzvergabe festgelegt. Die lauteten unter anderem: Einfluss der Kommune auf den Netzbetrieb, Wertschöpfung vor Ort, Bürgernähe sowie die Perspektive der weiteren Zusammenarbeit in anderen Bereichen der Daseinsvorsorge.
„Alle gemeindewirtschaftlichen und kommunalverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen muss ich laut Kartellbehörde zurückstellen“, erklärte Michael Schlecht. Doch den Vorteil seiner Gemeinde im Blick zu haben sieht er als seine Pflicht an. „Damit wird das Recht der kommunalen Selbstverwaltung eingeschränkt – ob zurecht, müssen andere klären“, kritisierte Michael Schlecht. Das letzte Wort hat aber auf jeden Fall die Kartellbehörde, auch wenn sie den Gemeinden nichts vorschreibt.
Im Falle Lenningens ist laut Auskunft der Landeskartellbehörde noch keine endgültige Entscheidung erfolgt. „Jedoch bestehen nach der vorläufigen Beurteilung kartellrechtliche Bedenken, da ersichtlich schon formale Kriterien bei der Konzessionsvergabe verletzt wurden“, so Frank Lorho von der Pressestelle im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, unter dessen Dach die Energiekartellbehörde ist.
„Jetzt gilt es, für die Gemeinde eine rasche und rechtssichere Lösung zu finden“, sagte Michael Schlecht. Deshalb hat sich die Gemeinde Lenningen gegenüber der Kartellbehörde verpflichtet, das Verfahren zur Vergabe der Stromkonzession zu wiederholen und „mit der erneuten Aufforderung zur Interessenbekundung binnen einer Ausschlussfrist von einem Monat fortzusetzen“, was im Bundesanzeiger nochmals bekannt gegeben wird. „Wenn sich die Gemeinde an ihre Zusage hält und das Verfahren ordnungsgemäß wiederholt, würden hiermit die kartellrechtlichen Bedenken ausgeräumt und es gäbe keinen Anlass mehr, eine abschließende Entscheidung zu treffen. Andernfalls würde das Verfahren von der Landeskartellbehörde wieder aufgegriffen werden“, erklärte Frank Lorho.
„Mit dem Wissen vom Herbst 2011 hätten wir anders gehandelt“, sagt Michael Schlecht. Nichtsdestotrotz schaut er nach vorn und erklärte ausdrücklich, dass das Verfahren nur den Netzbetrieb und nicht die Stromerzeugung oder den Stromvertrieb betrifft. Die Verwaltung geht davon aus, dass das neue Konzessionsverfahren bis Ende des Jahres abgeschlossen sein wird.