Kirchheim. Die alte, schwarz-gelbe Landesregierung hatte versucht, die Hauptschule durch das Wundermittel Werkrealschule zu erhalten. Die neue, grün-rote Landesregierung setzt zu diesem Zweck vor allem auf Gemeinschaftsschulen. Beides wird die Hauptschule nicht vor dem Aus bewahren können. Uwe Häfele, Rektor der Kirchheimer Alleenschule, sieht das ganz realistisch: „Es ist schon seit
Langem Tatsache, dass die Hauptschule in der jetzigen Form keine Zukunft mehr hat. Die Akzeptanz wird immer geringer.“ Die Möglichkeit, Gemeinschaftsschulen einzurichten, hält Uwe Häfele mittelfristig für den richtigen Ansatz, sieht darin jedoch vor allem im ländlichen Raum Chancen. „Wenn an einem Ort aber die Gemeinschaftsschule neben der Realschule ist, dann wird die Gemeinschaftsschule kaum eine größere Akzeptanz finden.“
Jetzt bereits Planungen anzustellen oder sich gar mit Anträgen für eine künftige Gemeinschaftsschule zu befassen, hält er ebenfalls für falsch: „Dafür fehlen die konkreten Rahmenbedingungen.“ Es brauche außer einem pädagogisch ausgereiften Konzept auch ein geeignetes Raumkonzept, um Schüler individuell in kleinen Gruppen fördern zu können. Auch personelle Veränderungen müssten diskutiert werden, bevor sich eine Gemeinschaftsschule etablieren kann. Die Trennung zwischen Haupt- und Realschullehrern wäre dann ja nicht mehr nötig.
Was an der Alleenschule schon seit Längerem angedacht ist, das wäre eine Grundschule mit längerem gemeinsamen Lernen. Dafür würde die Schule auch einen Antrag stellen wollen. Aber auch hier gilt, dass erst konkrete und ausgereifte Konzepte auf dem Tisch liegen müssen – und zwar landesweit. Vor Schnellschüssen warnt Uwe Häfele ebenso wie vor der Situation, dass 500 Hauptschulen in Baden-Württemberg jeweils eigenständige Modelle entwickeln.
Was die Schülerzahlen betrifft, gibt es im nächsten Schuljahr eine stabile Zweizügigkeit an der Alleenschule: 38 Fünftklässler sind angemeldet. So viele sind es aber nur, weil die Ötlinger jetzt der Alleenschule zugeschlagen werden. An der Raunerschule dagegen wird die Zweizügigkeit im September nur noch ganz knapp erreicht, wie Rektor Gerhard Klinger mitteilt. Über künftige Schulmodelle weiß er nur gerüchteweise Bescheid. Konkretes ist auch ihm noch nicht bekannt. Aber aus der Erfahrung mit der Werkrealschule heraus warnt er davor, „wieder in allerkürzester Zeit Neuerungen einzuführen, ohne sich vorher zu überlegen, wie es eigentlich gehen soll“.
Wenn beispielsweise geplant werde, Haupt- und Realschulen einfach „zusammenzuschmeißen“, dann sei in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob das auch baulich sinnvoll ist. Die notwendige Binnendifferenzierung in einer Gemeinschaftsschule hält er nur für machbar, wenn die Schüler auch unter einem Dach unterrichtet werden und nicht an zwei getrennten Standorten. Insgesamt sagt Gerhard Klinger zu den möglichen Veränderungen in der Schullandschaft: „Da bin ich eher skeptisch und zurückhaltend als euphorisch.“
Friedemann Korn, Rektor der Ötlinger Eduard-Mörike-Schule, sieht nicht nur den Hauptschulstandort in Ötlingen vor dem Aus, sondern die Hauptschule insgesamt: Wie seine Kollegen auch, bezieht er sich dabei auf die Tatsache, dass die Grundschulempfehlung ab dem Schuljahr 2012/2013 nicht mehr verbindlich ist. Unabhängig von den Grundschulnoten können Eltern ihre Kinder dann also an derjenigen weiterführenden Schule anmelden, die sie für richtig halten. „Das gibt eine Abstimmung mit den Füßen“, sagt Friedemann Korn, für den das dreigliedrige Schulsystem deshalb jetzt schon „an der gesellschaftlichen Realität vorbeigeht“.
Die Kirchheimer Schullandschaft sei demnächst ohnehin komplett neu zu überdenken. So gebe es für Ötlingen und Lindorf mit rund 8 000 Einwohnern keine weiterführende Schule mehr. Viele Schüler würden bereits nach Wendlingen abwandern, weil die Nachbarstadt näher liegt als die Kirchheimer Kernstadt. Aber andererseits sei Schulentwicklung eine behäbige Angelegenheit. Nicht nur das Lehrpersonal stehe Veränderungen zunächst skeptisch gegenüber, sondern auch die Eltern. Außerdem stehe die neue Landesregierung mit ihren angedachten Veränderungen unter Zeitdruck, weil die Legislaturperiode nur fünf Jahre dauert.
Bei der Gemeinschaftsschule stellen sich aber auch für Friedemann Korn noch viele ungeklärte Fragen – zum Beispiel, ob sich die Gymnasien mit einbinden lassen oder nicht. Eine andere Frage ist die, ob die Gemeinschaftsschule die Qualität der bisherigen Haupt- und Realschulen halten kann. An einer Tatsache komme nämlich auch die neue Regierung nicht vorbei: „Bildung kostet Geld, und die Differenzierung kostet auch viel Geld.“ Hans Gregor, der scheidende Schulleiter der Grund- und Hauptschule Jesingen, sieht in einer Gemeinschaftsschule anstelle der Werkrealschule „eine Möglichkeit für Jesingen“. Die Schülerzahlen an den Werkrealschulen seien landauf, landab problematisch, sagt er: „Die Werkrealschule ist eben nicht der Renner bei den Eltern.“ Was in Kirchheim im Hinblick auf Gemeinschaftsschulen passieren werde, sei noch nicht klar. Was aber für Jesingen sinnvoll wäre, darüber möchte Hans Gregor zum jetzigen Zeitpunkt nicht spekulieren: „Das wird dann vermutlich mein Nachfolger machen.“
Die Kirchheimer Realschulrektoren halten übrigens nichts vom Zusammenlegen der Haupt- und Realschulen. Wolfgang Wörner von der Teck-Realschule will keine „Restschule“ betreiben – für alle die, die es nicht ans Gymnasium schaffen. Und auch an den Realschulen werde es nach Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung vermehrt Schüler geben, die sich nicht an der Realschule halten können. „Wohin sollen wir diese Schüler dann noch abgeben?“ fragt sich Wolfgang Wörner, der auch vor den persönlichen Folgen für solche Schüler warnt. Vor Einführung von Gemeinschaftsschulen und vor der Zusammenlegung vorhandener Schulen rät er zu einer starken Beteiligung der Basis, also derjenigen, die sich an den Schulen vor Ort mit Bildung beschäftigen.
Auch Eberhard Schweizer, Rektor der Freihof-Realschule, fordert ein fundiertes pädagogisches Konzept, bevor Gemeinschaftsschulen oder ähnliches beantragt werden können. Derzeit sei ohnehin nicht klar, ob die Schulen oder die Kommunen entsprechende Anträge stellen dürfen. Auch ohne Gemeinschaftsschule müsse die Realschule aufpassen, ihr Niveau halten zu können. Und auch die Hauptschulen würden gute Arbeit leisten, „auch wenn das leider in der Öffentlichkeit nicht so ankommt“. Was die Gesamtschule betrifft, so gebe es ja auch Überlegungen, Gymnasien mit einzubeziehen. Vielleicht lasse sich auf diese Art an der Gesamtschule wieder ein G 9 einführen. Aber all das sind und bleiben derzeit noch Spekulationen. Eine Schule dauerhaft an zwei Standorten zu betreiben, hält Eberhard Schweizer für nicht machbar. Und auch im Hinblick auf die fünfjährige Legislaturperiode des Landtags meint er, dass sich nicht auf die Schnelle alles ändern lässt: „Bildungspolitik ist ein großes, schweres und langsam fahrendes Schiff.“