Regionale Produkte erfordern regionale Produktion – und zwar mit allem, was dazugehört. Traktorlärm, Güllegeruch und Hühnergegacker kommen bei den Nachbarn allerdings nicht immer gut an. Gerade im Landkreis Esslingen gibt es jede Menge Konfliktpotenzial.
Kreis Esslingen. Viele Menschen schätzen ein saftiges Stück Rindfleisch aus der Region oder ein frisches Ei aus dem Hofladen. Nur wenige allerdings sind bereit, die Belastungen der Produktion zu tragen. „Vor dem Verkauf regionaler Produkte steht der gesamte Kreislauf – mit Mist und Gülle, mit Geräuschkulisse und optischen Störfaktoren“, sagt Siegfried Nägele, Vorsitzender des Kreisbauernverbands Esslingen. Insbesondere, wenn die Landwirtschaft nahe an die Wohnbebauung heranrückt – oder umgekehrt – sind Konflikte programmiert. Gerade im Landkreis Esslingen treten gehäuft Probleme zwischen Bevölkerung und Landwirtschaft auf. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: „Der Landkreis Esslingen ist einer der flächenmäßig kleinsten und gleichzeitig am dichtesten besiedelten Landkreise in Baden-Württemberg“, so Kreisvorsitzender Michael Zimmermann. Bereits in den Nachbarlandkreisen Reutlingen und Göppingen ist das Problem längst nicht mehr so ausgeprägt: Sie sind weniger dicht besiedelt. „Darum sind auch die räumlichen Abstände zwischen Landwirtschaft und Bevölkerung größer“, sagt Siegfried Nägele.
Aber das ist längst nicht der einzige Faktor, der Zündstoff liefert. Auch der große Anteil an Natur-, Landschafts- und Vogelschutzgebieten im Landkreis Esslingen schürt den Konflikt. „Was nicht Siedlungsfläche ist, ist entweder Schutzgebiet oder regionaler Grünzug“, stellt es Florian Dangel überspitzt dar. Tatsächlich bleiben den Bauern nur wenige Flächen zur Nutzung übrig, oft sind sie klein und nahe an der Bebauung. „Landwirtschaftliche Neuaussiedlungen sind im Kreis heute kaum mehr möglich“, weiß Florian Dangel. Dass Siegfried Nägele mit seinem Hof ausgesiedelt ist, ist schon eine ganze Weile her. Aber schon damals war es ein großer bürokratischer Aufwand: „Unsere Aussiedlung hat neun Jahre gedauert“, berichtet er und zieht den Vergleich zu Frankreich: „Im Elsass geht so etwas in sechs Monaten.“
Ihr eher restriktives Verhalten will Florian Dangel den Verwaltungen gar nicht ankreiden: „Sie müssen zu Recht die Bürgerinteressen in solch einem dicht besiedelten Gebiet vertreten“, hat er Verständnis.
Das Thema „Verständnis“ ist aus Sicht der Bauernvertreter ohnehin ein Knackpunkt. Nicht zuletzt deshalb sind ländliche Gebiete in großstädtischen Ballungsräumen besonders problematisch: „Die Bevölkerung dort hat weniger Verständnis für Landwirtschaft als die ,richtige‘ Landbevölkerung“, formuliert es Florian Dangel. Das liegt seiner Ansicht nach auch an einer verklärten Vorstellung vom Landleben: „Das ist der Klassiker“, so Dangel. „Man zieht raus aus der Stadt, um ländlicher zu leben, will das Landleben dann aber nicht mit allen Konsequenzen tragen.“ Zur Landwirtschaft gehörten nun einmal Tiere und Mist, Schlepper und Mähdrescher – und Letztere sind eben auch mal zu Zeiten im Einsatz, wo andere schon längst Feierabend haben: „Wir sind wetterabhängig“, sagt Siegfried Nägele. In der Erntezeit laufe bei gutem Wetter ein Mähdrescher eben im Drei-Schicht-Betrieb, genau wie die Maschinen in vielen Fabriken – nur dass die bauen damit für mehr Aufsehen sorgen. „Wir haben unsere Produktionsstätte im Freien und stehen unter ständiger Beobachtung“, so Nägele.
Einig sind sich die Vertreter des Kreisbauernverbands aber auch, dass Verständnis keineswegs einseitig gefordert werde. „Auch die Landwirte dürfen nicht engstirnig sein“, sagt Florian Dangel. „Das legen wir unseren Mitgliedern auch immer wieder nahe.“ Siegfried Nägele ergänzt: „Es muss ein tragfähiger Kompromiss für alle sein.“ Eine große Chance, um der Entfremdung und Verständnislosigkeit entgegenzuwirken, sieht der Kreisbauernverband in verbesserter Kommunikation. „Wir haben schon große Fortschritte gemacht“, verweist Florian Dangel auf die Bedeutung von Hofläden und Direktvermarktung, von Gläserner Produktion, Bauernhofpädagogik-Hoftagen.
„Aufklärung ist wichtig“, betont auch Michael Zimmermann. So gelte es, den Kunden zu verdeutlichen, dass im Winter und Frühjahr deutsche Äpfel immer aus Kühllagern kommen – das Klima dadurch aber weniger leide, als wenn das Obst gekühlt aus Neuseeland importiert wird. „Die Vorstellung von 20 Hühnern, die durch den Garten laufen, funktioniert einfach nicht“, weist Siegfried Nägele auf unrealistische Ansichten der Verbraucher hin. Ohnehin hätten viele Menschen ein verzerrtes Bild von Massentierhaltung. „Die Landwirte müssen von der Produktion leben können“, sagt er. Eine gewisse Anzahl an Tieren sei da unerlässlich. Nur den Kopf schütteln kann Florian Dangel, wenn bei einer Zahl von 1 000 Hühnern plötzlich das Wort Massentierhaltung herumgeistert. „In der Fachwelt gilt das noch als Hobbyhaltung“, legt er dar, wie weit die Ansichten auseinandergehen. Dass Tiere automatisch leiden, wenn sie in großer Zahl gehalten werden, weisen die Bauernvertreter zurück: „Zusammen mit vielen anderen in einem geräumigen Laufstall zu leben, ist für Kühe oft besser, als mit wenigen anderen in einem dunklen Loch“, verdeutlicht Dangel, dass nicht Tierzahlen entscheidend sind, sondern die Haltung. Und die lässt sich schließlich nirgendwo besser überprüfen als vor der eigenen Haustür . . .